[LiSe 10/15] Rezension: Ausstieg – leicht gemacht

Christoph Poschenrieder begleitet in seinem neuen Roman „Mauersegler“ eine noble Senioren-WG bis zum Ende

Sie waren Freunde, Knaben aus einer Kleinstadt, wuchsen gemeinsam in der Nachkriegszeit auf. 60 Jahre später sind sie fünf „gutaussehende, braungebrannte Erfolgstypen, Alphawölfe, Überholspurfahrer, FDP-Wähler, als es die noch gibt“ – so beschreibt Christoph
Poschenrieder seine Protagonisten in dem soeben erschienenen Roman „Mauersegler“. Das Quintett gründet eine Senioren-WG in einer Villa am Starnberger See und schließt einen Pakt: Jeder von ihnen soll selbstbestimmt sterben können – und die anderen helfen ihm dabei. Bis es zum ersten Pflegefall kommt, führen die Fünf ein komfortables Leben: Sie trinken Champagner und teure Cognacs, fahren Porsche, ziehen Tomaten und schlagen Golfbälle in den Starnberger See. Ein launiges Szenario, mit viel Charme und sanfter Ironie erzählt. (mehr …)

[LiSe 10/15] Rezension: Wenn Autoren älter werden

Wer gern und viel Krimis liest, verzweifelt manchmal über den immer gleichen Plot – Mord, Leiche, Ermittler, vertuschte Spuren, Auflösung. Friedrich Ani hat schon vor Jahren begonnen, den Kriminalroman als Vehikel für sein Nachdenken über den inneren Zusammenhalt unserer rasanter werdenden Dienstleistungsgesellschaft zu benutzen.

Seinen Tabor Süden lässt er nach vermissten Personen suchen, die erst durch ihr Verschwinden in das Bewusstsein ihrer Mitmenschen geraten sind. Nun hat Ani mit seinem neuen Ermittler Jakob Franck einen pensionierten Kommissar erfunden, der die Einsamkeit und die inneren Monologe mit seinen Auftraggebern, den Opfern und sicher auch seinem Autor teilt.

In dem soeben erschienen Roman „Der namenlose Tag“ erfleht der 67-jährige Witwer Ludwig Winther aus dem Münchner Stadtteil Ramersdorf von dem Ruheständler, nochmal den Umständen des Freitods seiner Tochter nachzugehen, der zwanzig Jahre zurück liegt. Franck trifft bei seinen Recherchen im Umfeld der Familie Winther auf generationenübergreifendes Schweigen. Über drei Generationen verheddern sich die Hinterbliebenen in Stummheit und sinnlosem Lügen. Und Ani katapultiert seine LeserInnen in ihre eigenen Kindheiten, wo trotz der lärmenden Geschwätzigkeit über die wichtigen Dinge geschwiegen wird und das Wesentliche nicht ausgesprochen werden darf, und wo die Kinder im Mief verdruckster, kleinbürgerlicher Großstädter verstummen. Das Beste, was Ani bisher geschrieben hat.

Michael Berwanger

Friedrich Ani
Der namenlose Tag
Roman, gebunden 300 Seiten
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
19,95 Euro

TTIP-Verhandlungen ohne Buchpreisbindung: Börsenverein begrüßt offizielle Zusage von EU-Kommission

Pressemitteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.
Frankfurt am Main, 29. September 2015

Die EU-Kommission wird auf keinen Fall bei den Verhandlungen zum Transatlantischen Handels- und Investitionsschutzabkommen (TTIP) über die Buchpreisbindung sprechen, auch wenn die US-Verhandlungsführer in den Gesprächen das Thema von sich aus aufgreifen sollten. Auf Vorschlag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström dies jetzt in einem Antwortschreiben klargestellt. Demnach werden nationale Buchpreisbindungssysteme wie das sowohl für gedruckte wie für elektronische Bücher geltende deutsche Buchpreisbindungsgesetz durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP in keiner Weise beeinträchtigt werden. Das bedeutet z.B., dass auch US-amerikanische E-Book-Plattformen beim Verkauf deutschsprachiger E-Books an Kunden mit Sitz in Deutschland dazu verpflichtet sind, den vom deutschen Verlag gebundenen Ladenpreis anzuwenden und Verstöße gegen diese Pflicht effektiv sanktioniert werden können. (mehr …)

„Bücher sagen Willkommen“: Buchbranche startet Initiative für Flüchtlinge

Pressemitteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., der Frankfurter Buchmesse und der LitCam

BOEV_WillkommenBanner_2000x1000_offen

„Bücher sagen Willkommen“: Buchbranche startet Initiative für Flüchtlinge

Einrichtung von Lese- und Lernecken für Flüchtlinge / Spendenaktion im Buchhandel / Sonderprogramm für Flüchtlinge auf der Frankfurter Buchmesse / Schirmherr: Navid Kermani, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2015 / Start zum Weltbildungstag am 8.9.2015 (mehr …)

[Lise 09/15] Faust im Nacken

Faust im Nacken

Was dürfen oder müssen Gymnasialschüler in der Oberstufe lesen?
Verdirbt oder fördert die Pflichtlektüre die Freude am lebenslangen Lesen?

Der Lehrplan für die Oberstufe bayerischer Gymnasien, Fachbereich Deutsch umfasst in seinen gut zehn Seiten allgemeine Vorgaben zur „sprachlich-literarischen“ und „geistesgeschichtlich-kulturellen Bildung“. Er ist in sechs Kapiteln abgehandelt, wobei das Kapitel „Sich mit Literatur und Sachtexten auseinandersetzen“ eine eher marginale Rolle spielt. Dennoch fordert er von den Schülern „Aufgeschlossenheit für Themen und Stoffe der Literatur“, Erweiterung „kultureller Zusammenhänge“, „Offenheit für Fragen der Ästhetik“, „eine differenzierte Weltsicht“ und „lebenslange Lesebereitschaft“. Das klingt nach hohen Ansprüchen und ausgedehnter Pflichtlektüre. Dabei ist auffällig, dass der Lehrplan – außer zeitgeschichtlichen Eingrenzungen – offenhält, was in der Oberstufe gelesen werden soll. Also ab jetzt nur noch Felicitas Hoppe und Alexander Kluge? Keineswegs! (mehr …)

[LiSe 09/15] Literaturradio

Literaturradio: Literatur geht auf Sendung

SelfPublishing, Posten, Twittern – die digitale Welt für Wortkreative ist weit. Nun können sie sich auch zu Gehör bringen. Das Literaturradio Bayern macht‘s möglich. Auf der neuen Radioplattform der BLM (Bayerische Landeszentrale für Neue Medien) geht das offensichtlich ganz einfach. Wer Lust hat, eigene Beiträge zu produzieren, registriert sich über die Anmeldemaske, erstellt einen Radiokanal, lädt seine Texte hoch oder sendet sie live. Zu empfangen sind sie vorläufig nur über das Internet. Was aber nicht so bleiben muss, da man sich vorstellen kann, einzelne Sendungen auch im digitalen Radio zu verbreiten. Die beiden Initiatoren, Uwe Kullnick vom FDA Bayern (Freier Deutscher Autorenbund) und Arwed Vogel vom VS (Verband Deutscher Schriftsteller), wollen damit die bayerische Literatur auf eine breite Basis stellen und Autoren aller Couleurs die ihnen gebührende Wahrnehmung an die Hand geben.

Das Literaturradio ist gedacht als eine Plattform für kleinere Organisationen mit regionalen und lokalen Komponenten, die voneinander keine Ahnung haben und nun miteinander kommunizieren können. Eine Art Entdeckermagazin, wo jeder, der schreibt, sich vielstimmig über die Feuilletons der Zeitungen und öffentlichen Sender hinaus zu Wort melden kann. Autorenportraits, Rezensionen, Lesungen, Buchpräsentationen, Veranstaltungsankündigungen, Interviews, Live-Übertragungen stehen bereits auf der Programmliste. Man sieht, die Bandbreite ist groß und kann durch die Vernetzung mit Musikern und Bildenden Künstlern aufs Anregendste erweitert werden. Die Beiträge sollen nach journalistischen Grundsätzen erstellt sein und den Jugendschutzbestimmungen Rechnung tragen. Eine VS-Redaktion wacht darüber, dass ein gewisser Level eingehalten wird und nicht allem Schund und Schmutz Tür und Tor offen stehen.

Finanziert ist das Literaturradio sozusagen aus sich selbst, das heißt partiell durch die Rundfunkgebühren, da die Plattform auf der Homepage der BLM, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, angesiedelt ist. Die Tätigkeit der Einzelnen ist rein ehrenamtlich, die Beiträge müssen selber produziert und ins Netz gestellt werden. Im Grunde ist jeder für sich verantwortlich, kann aber mit Feedback und Kommentaren gelobt oder getadelt werden bzw. selber tun. Für Arwed Vogel beinhaltet das eine große Freiheit, es können Momente im literarischen Betrieb gezeigt werden, die an anderer Stelle kaum mehr Platz finden. Anders gesagt, das Literaturradio zeigt eine Offenheit, die den gängigen Medien abhanden gekommen ist. Vogel wünscht sich, dass die Schriftsteller mit diesem Projekt nun eine gemeinsame, kommerziell unabhängige Plattform haben, ein Sprachrohr, mit dem sie ihre Belange vertreten, ihre Publikationen präsentieren und literarische und literaturpolitische Diskurse eigenständig führen und in der Öffentlichkeit darstellen können.
Katrina Behrend Lesch

Kontakt: radio.blm.de, uwe.kullnick@email.de, arwedvogelflp@aol.com