[LiSe 05/22] NEUE SCHULE

Ein Projekt, das junge Menschen von der Kinderlektüre zur Erwachsenenliteratur führen möchte

Von Marie Türcke

Man liest Pippi Langstrumpf und die drei Fragezeichen, aber was liest man eigentlich dann?“ – „Ach verdammt, hätte mir doch jemand Herman Hesse gegeben als ich 15 war!“

Es sind Sätze und Gedanken wie diese, die am Anfang von Leander Steinkopfs Buchprojekt „Neue Schule. Prosa für eine neue Generation“ stehen. Wie kommt ein junger Mensch von der Kinderlektüre zur Erwachsenenliteratur? Und vielleicht noch wichtiger: Wie findet man einen Zugang zur Gegenwartsliteratur? Der Deutschunterricht ist durchgetaktet – Goethe, Schiller, die Romantiker –, hier ist keine Zeit mehr für die, die jetzt schreiben: über das Jetzt. (mehr …)

[LiSe 04/22] Ein Netzwerk aus Kunstschaffenden

Einblicke in die Ausstellung „Beziehungsstatus: Offen.“ im Zeppelin Museum, Friedrichshafen

Von Michael Berwanger

Natürlich könnte man die Berichterstattung über eine Ausstellung zum Thema Literatur und Kunst am Bodensee mit einer prominenten Person beginnen. Wie etwa Erika Mann, die 1926 mit ihrem Kurzzeitgatten Gustav Gründgens zu Flitterwochen im Kurhotel Friedrichshafen abgestiegen war und sich langweilte, wie zu lesen ist. Oder mit Golo Mann, der in Salem ins Internat ging und deutlich mehr von der ländlichen Idylle angetan war. Aber sind nicht Entdeckungen über weniger bekannte Künstler*innen viel reizvoller? Beispielsweise Grete Jehly. Die Vorarlberger Schriftstellerin, die ihre meiste Zeit in München verbracht hatte, lebte zwischen 1906 und 1923 mit ihrem Mann, dem Maler und Karikaturisten Olaf Gulbransson, zeitweise in Bregenz. Dort lernte sie den Maler Rudolf Wacker kennen. Mit diesem wiederum teilte das Ehepaar die Freundschaft zu den Schriftstellern Hermann Hesse und Emanuel von Bodman, die sich ebenfalls am Bodensee – allerdings auf der Schweizer Seite – niedergelassen hatten. (mehr …)

[LiSe 03/22] Zwei in Tuchfühlung: Wenn Literatur zu Musik wird

Der Komponist Wilfried Hiller gibt Einblick

Von Katrin Diehl

Die „Apokalypse“ steht an. Die des Evangelisten Johannes. Johannes befindet sich auf der griechischen Insel Patmos, dort in einer Höhle. Er lauscht, vernimmt durch Spalte in der Wand Worte, Sprache, die Stimme Gottes, die ihm in die Hand diktiert, was sich bis heute im letzten Buch des Neuen Testaments nachlesen lässt, ein wenig freundlicher anmutend auch die „Offenbarung des Johannes“ genannt. Wie sie beginnt, adelt – wer gewillt ist, das so zu verstehen – jedes Stück Literatur. Denn ginge es nach ihr, war „Im Anfang … das Wort.“ (mehr …)

[LiSe 02/22] POP PUNK POLITIK Die 1980er Jahre in München – eine Ausstellung in der Monacensia

Von Stefanie Bürgers

Wenn die Erde schreien könnte wären wir schon alle taub“, krakeelt ein knallgelbes Graffiti auf grauer Ziegelwand im Alabama-Gelände. Es geht um Protest, um Autonomie. Die Ausstellung „Pop Punk Politik“ ist als „fließendes Projekt“ konzipiert. Während ihrer Laufzeit bleibt die Monacensia im Austausch mit Zeitzeugen, um Lücken im Gedächtnis der Stadt zu schließen. Eine Art Feldforschung also. Viele Exponate stammen aus der privaten Hand der jeweiligen Künstler*innen, Fotograf*innen, Kulturschaffenden und präsentieren eine junge, vielfältige Text- und Medienproduktion. Digital ist derzeit bereits „Volume 2“ zu sehen. (mehr …)

[LiSe 01/22] Liebe vor Ruinen

Sabrina Schmatzs Comic „München 1945“

Von Katrin Diehl

Es wird geliebt, auch wenn die Welt in Trümmern liegt. Kriegsruinen gerieren zu bloßer Kulisse, Schuld, Sorgen, Traumata verschwinden für Glücksmomente in der zweiten Reihe, bis sie sich wieder Bahn brechen und ihren Tribut verlangen: einer Auseinandersetzung damit, was da geschehen ist, zum Beispiel in den vergangenen zwölf Jahren. Denn wir schreiben das Jahr 1945, befinden uns in München. Der Krieg ist zu Ende und es sind vor allem die amerikanischen Soldaten, die die Menschen mit ihrer jüngsten Vergangenheit konfrontieren, ihnen – ob sie das nun verstehen oder nicht – deutlich machen, dass das mit Nazi-Deutschland over ist. Over. Over. Over. Danach gehen diese Menschen wieder ihrer Wege, schlagen sich durch Berge aus Steinschutt, suchen nach Existenziellem, vor allem nach Orientierung. (mehr …)

[LiSe 12/21] „Das literarische München … hat sich bis jetzt nicht viel um mich gekümmert …“

Erinnerungen an die Schriftstellerin und Dichterin Emma Bonn

Von Katrin Diehl

So ganz heimelig will es einem nicht werden bei diesem Weihnachtsgedicht. Wirklich originell ist es auch nicht. Aber anhören sollte man es sich trotzdem, nicht weil sich in ihm ungeahnte Interpretationsüberraschungen verbergen, sondern weil sich entlang dieser „Weihnachtskerzen“-Verse ganz gut eine Geschichte, eine Lebensgeschichte erzählen lässt. „Jedes Licht, das sich verzehrt / An dem Tannenbaum, / Im Verglühn die Wärme nährt / Rings im Weltenraum.// Jede Frucht, die unbegehrt / Faulend niedersinkt, / Tausend Keime unversehrt / Heim zur Erde bringt.// Alles Sterben schürt den Herd / Zeugungs-Ueberschwang, /  Noch aus letzter Fäulnis gärt / Neuer Lebensdrang.“ Da geht es sehr schnell vom wärmenden Lichtzauber hinein in den kompostigen Kreislauf der unsentimentalen Natur, besser gesagt, der planerfüllenden Biologie. Das Gedicht stammt von Emma Bonn und ist eines der wenigen, dessen Typoskript die Dichterin handschriftlich unterzeichnet hat und zwar dicht unter der Datumszeile „Weihnachten 1933“. Das erste Weihnachten unter Hitler also. (mehr …)