Alles über Leonhard Frank
Von Katrin Diehl
Das ist nicht einfach nur eine Biografie über Leonhard Frank. Es ist die Biografie. Was natürlich auch daran liegt, dass es bisher über den Schriftsteller noch nichts in dieser Richtung gab. Nach „Rebell im Maßanzug“, verfasst von der Germanistin und Journalistin Katharina Rudolph, scheint das jetzt auch nicht mehr nötig zu sein. Ist man mit den 500 Seiten durch, fällt einem nichts Unerwähntes mehr ein. Das hat schon fast etwas Unheimliches, auch wenn man an die Recherchearbeit denkt, die sich hinter diesem „Werk“, Weiterführung einer Dissertation, verbirgt. Hier wurde ein Leben rekonstruiert.
Leonhard Frank, 1882 in Würzburg als viertes Kind in eine Familie von „Tagelöhnern und Dienstmägden“ hineingeboren, schaffte es heraus aus der dunklen Welt trostloser Armut, schaffte es vor allem, aus der „Schwarzen Pädagogik“, die er in voller Härte abbekommen hatte, reflektierend und psychoanalysierend Literatur werden zu lassen. „Die Räuberbande“ lautete der Titel von Franks erstem Roman, mit dem er es, 1914 geschrieben, auch gleich zum angesehenen „Theodor-Fontane-Preis“ brachte. Es geht darin um eine Bande 14-jähriger Würzburger Lehrbuben, deren Fantasie, deren Leichtigkeit, deren Glaube an Möglichkeiten durch die harte Hand eines Pädagogen systematisch gebrochen wird. Einem der Jungen gelingt es, aus der beengten Welt auszubrechen. Frank schrieb Roman für Roman, Novelle für Novelle, Theaterstück für Theaterstück immer eng am eigenen Leben entlang, was für die Verfasserin einer Biografie beides ist, Fluch wie Segen. Alles könnte wahr sein. Alles aber auch ein bisschen anders.
1904 kam Leonhard Frank an die Münchner Akademie der Bildenden Künste. Von da aus war es nicht weit in die Schwabinger Bohème, von dort aus ein Katzensprung ins „Café Stephanie“, wo sie alle hockten, die von Luft, Liebe und Kunst lebten und die später das Königreich zum Wanken bringen sollten. „Irgendwo im Haus oder Himmel musste ein Elektrizitätswerk sein. Die Gäste, angeschlossen an den Starkstrom, zuckten unter elektrischen Schlägen gestikulierend nach links und nach rechts …, fielen ermattet zurück und schnellten mitten im Satz wieder hoch, die Augen aufgerissen im Kampf der Meinungen.“ So beschrieb das Frank.
Aus dem Maler wurde ein Schreiber. Er gehörte dazu, lebte ein „expressionistisches Leben“, wie es im Buche steht, in dem nichts ausgelassen wurde (auch nicht der Monte Verità), kein Exzess, kein Selbstmordgedanke, kein Mordgedanke, keine Liebesorgie … Und immer auf dem Papier festgehalten, auch in seiner seltsamen Autobiografie „Links, wo das Herz ist“, 1952 verfasst und in der dritten Person formuliert. Dazwischen lag viel, auch das aufrührerische Buch „Der Mensch ist gut“, ein Antikriegsroman, der, als sich der Erste Weltkrieg ankündigte, von der Schweiz aus nach Deutschland geschmuggelt worden war, es bis in die Kanister der Soldaten schaffte. Frank hatte sich nach München und Berlin in die Schweiz gerettet, fand in einem Sanatorium Unterschlupf. Der unter den Pazifisten bekannte Arzt Ludwig Binswanger schrieb ihm das Papier, das er brauchte, um nicht als Kanonenfutter herhalten zu müssen. Sein ausführliches psychologisches Protokoll durchzieht die Biografie. Unter den Nazis wurden Franks Bücher verbrannt, er selbst verfolgt.
1940 gelingt ihm die Flucht aus einem Internierungslager in der Bretagne. Er schaffte es nach Marseille, setzt nach Amerika über. Nach 17 Jahren, jetzt fast 70 Jahre alt, kehrt Frank nach Deutschland zurück, findet es chic, mit der DDR zu liebäugeln, aber ebenso chic, teure Anzüge zu tragen. 1961 stirbt er, ein Erfolgsautor der Weimarer Republik, dessen schriftstellerisches, etwas schwülstiges Werk die eigene Zeit kaum überdauert hat, dessen Leben aber dermaßen deutlich deutsche Zeitgeschichte widerspiegelt, dass einem schwindlig werden kann. Begraben liegt Leonhard Frank auf dem Münchner Ostfriedhof.
Katharina Rudolph:
Rebell im Maßanzug.
Leonhard Frank
Biographie
Hardcover, 496 Seiten
aufbau Verlag, Berlin 2020 28 Euro