Von Katrin Diehl
„Jella Lepman und ihre Bibliothek der Träume“, ein Bilderbuch für Jugendliche und junge Erwachsene, ist eine Verneigung vor einer Frau, die allzu lange unbeachtet gewesen ist. Erst seit den 2000er Jahren gibt es, vor allem aus Kreisen der an Kinder- und Jugendliteratur wie deutsch-jüdischer Kulturgeschichte Interessierten, Bemühungen, die sehr besondere, kluge und durchsetzungsstarke Frau nach vorne zu holen. Es wird geforscht und entdeckt, erkannt auch, wie lückenhaft sich ihr Leben noch immer darstellt. Lepman ist mit Auskünften zur eigenen Person, dem eigenen, alles andere als einfachen Leben äußerst zurückhaltend gewesen ist. Es ging ihr um die Sache.
Jella Lepman, 1891 in Stuttgart geboren, war Deutsche, war Jüdin und als engagierte Journalistin und Autorin recht erfolgreich. 1936 emigrierte sie mit ihren beiden Kindern, der Ehemann war früh verstorben, über Italien nach London, wurde staatenlos, schrieb in England u.a. und unter Pseudonym eine Studie mit Titel „Women in Nazi Germany“. 1945 kehrte sie voller Bedenken und größtem Misstrauen den Deutschen gegenüber im Rahmen des US-amerikanischen Re-Education-Programms nach Deutschland zurück. Ihr Zuständigkeitsbereich (und jetzt im Rang einer Majorin) waren Frauen und Kinder. Um den Kindern eine neue Welt und Perspektive zu eröffnen, setzte sie aufs Buch, auf Publikationen von Kinder- und Jugendbüchern aus der freien Welt. Sie bildeten den Grundstock der von Lepman 1949 in München gegründeten „Internationalen Jugendbibliothek“ (IJB), der sie bis 1957 als Direktorin vorstand. Nach getaner Arbeit verließ sie Deutschland wieder, starb 1979 in der Schweiz.
Lepman hat mit ihren in die Tat umgesetzten Ideen nichts weniger als die Richtung vorgegeben für die Kinder- und Jugendbuchlandschaft in Deutschland nach 1945, was Folgen hatte aufs Verlags- wie Bibliothekswesen. Darüber hinaus hat sie einen Weg in der Erziehung des Kindes gewiesen. Sie umging die Eltern, die ihr vom Nationalsozialismus geprägtes Denken ja keineswegs von heute auf morgen ablegen konnten oder wollten, wandte sich direkt an die Kinder und gestand ihnen Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Selbstbestimmung zu.
Dass neue Erkenntnisse zu Jella Lepman und deren Leben zuerst in ein Jugendbuch fließen, passt also wunderbar. Dass diese Buch-Idee wie ihre Umsetzung nicht aus Deutschland kommen, auch das passt irgendwie. Geschrieben wurde „Jella Lepman und ihre Bibliothek der Träume“ von der mit vielen Preisen bedachten US-amerikanische Autorin Katherine Paterson (ins Deutsche übersetzte Alexandra Rak). Und da die ebenfalls in Amerika lebende Enkeltochter Jella Lepmans, Claudia Lepman Logan, Paterson – wie auch der heutigen Direktorin der IJB, Christiane Raabe – sehr freundschaftlich verbunden ist, hat sie fürs Buch den Blick in bisher unbekannte Familiendokumente frei gegeben. „Bibliothek der Träume“ umkreist die Ereignisse von München, die erste Ausstellung von Kinderbüchern und -bildern im „Haus der Kunst“, die Gründung der IJB … Es zeigt Lepman in voller Aktion schlau um ihre Ziele kämpfend, nimmt aber immer auch Fäden auf, die die Verbindung herstellen zu ihrer Biografie. Das ist wertvoll. Der Ton, den Paterson anschlägt, ist ganz der der erzählten Zeit, erinnert an den Erich Kästners und Co. Ebenso machen das die sehr ansprechenden Illustrationen der amerikanischen Zeichnerin Sally Deng. Ihre Bleistiftzeichnungen, schwarz-weiß oder koloriert, sind gar nicht so weit weg vom Stil eines Walter Triers und Co., orientieren sich an Fotos, die manchmal mit auf die Seiten eingestreut wurden.
Das Buch idealisiert, und soll das ruhig tun, besonders, was den Blick auf die Kinder angeht. Die Kinder von damals sind die sehr Alten von heute, und wir wissen wohl, wie viel nationalsozialistischen Ton die zuhause, in der Schule, auf den Straßen noch abgekriegt haben, und wie sollte es auch anders sein. Ein paar Dinge sind ärgerlich. Das Wort „ausgerottet“ möchte man zumindest in der deutschen Übersetzung (die Zeit nach ’45 beschreibend) nicht hören. Und das Wort „Sünden“ ist im Zusammenhang mit den Menschheitsverbrechen, die im Namen der Deutschen geschahen, mehr als euphemistisch. Ist von einem Mädchen die Rede, dann ist dieses durch das Pronomen „es“ (und nicht „sie“) zu ersetzen; von einer „Ex-Frau“ zu sprechen, erscheint doch sehr heutig … Trotzdem sollte man sich dieses Buch nicht entgehen lassen, mit dem man auch einen himmlischen Blick erhascht auf den Traumort Schoss Blutenburg. Dort ist seit 1983 die IJB zuhause.
Katherine Paterson, Sally Deng: Jella Lepman und ihre Bibliothek der Träume
aus dem Englischen von Alexandra Rak
Hardcover, 112 Seiten, NordSüd Verlag, Zürich 2025 30 Euro
Informationen zur Internationalen Jugendbibliothek unter www.ijb.de