Ein Projekt, das junge Menschen von der Kinderlektüre zur Erwachsenenliteratur führen möchte
Von Marie Türcke
Man liest Pippi Langstrumpf und die drei Fragezeichen, aber was liest man eigentlich dann?“ – „Ach verdammt, hätte mir doch jemand Herman Hesse gegeben als ich 15 war!“
Es sind Sätze und Gedanken wie diese, die am Anfang von Leander Steinkopfs Buchprojekt „Neue Schule. Prosa für eine neue Generation“ stehen. Wie kommt ein junger Mensch von der Kinderlektüre zur Erwachsenenliteratur? Und vielleicht noch wichtiger: Wie findet man einen Zugang zur Gegenwartsliteratur? Der Deutschunterricht ist durchgetaktet – Goethe, Schiller, die Romantiker –, hier ist keine Zeit mehr für die, die jetzt schreiben: über das Jetzt.
Leander Steinkopf ist 1985 in Hessen geboren. Er hat in Berlin Soziologie studiert, sich dann aber doch mehr für die Psychologie interessiert und eine Promotion über evolutionäre Psychologie angefangen. Beendet hat er die Promotion als Sachbuch „Die andere Hälfte der Heilung“. Parallel zu seinen Studientätigkeiten hat er für die FAZ und den Merkur geschrieben – und immer auch Prosa für sich.
2018 ist sein Roman „Stadt der Feen und Wünsche“ erschienen. 2019 folgte der Sammelband: „Kein schöner Land: Angriff der Acht auf die deutsche Gegenwart“.
Da spukte auch bereits die Idee für die „Neue Schule“ in Steinkopfs Kopf herum. Neben der Schwierigkeit, als Jugendlicher einen Zugang zur Gegenwartsliteratur zu finden, ist Steinkopf überzeugt: Literatur hilft. Sie spiegelt wider, sie zeigt (auf), sie widersetzt. Der Autor und Kolumnist Tim Parks bringt ihn mit einer seiner Kolumnen auf einen weiteren Gedanken: Literatur hilft uns, die großen Konflikte unseres Lebens auszumachen. Tragen wir doch alle in mehr oder weniger ausgeprägter Weise einen oder mehrere Grundkonflikte mit uns herum. Deren bewusst sind sich die wenigsten. Für die einen ist die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse das zentrale Thema des Lebens. Für die anderen Macht und Ohnmacht. Vielleicht auch Wissen und Unwissen, Geld und Armut.
Seine Konflikte zu kennen, kann helfen, sich selbst und die eigenen Reaktionen auf die Umwelt besser zu verstehen. Und man kann vielleicht Entscheidungen fürs Leben treffen, die eher auf einen selbst zugeschnitten sind. Und gerade hier braucht doch ein junger Mensch Unterstützung.
Mehrere Sprachen sprechen, ein Instrument spielen, Arbeitserfahrung, all das hilft, sich später einen Weg zu bahnen. Aber welchen will man gehen? Das ist doch die eigentliche Frage. Und Literatur bietet ein unwahrscheinlich großes Feld an Antworten, Welten und Möglichkeiten.
Und ganz ehrlich, Literatur tut saugut. Egal wie allein, verloren, unglücklich verliebt, vernachlässigt oder unverstanden man sich fühlt, sie nimmt einen auf, hört zu und sagt: ich auch. Das hätte ich gerne gehört in manchen jungen Jahren. Du auch. Wir zusammen. Mit all diesen Themen im Gepäck (und einen Lektor, der an Kurzprosa interessiert war, hatte er bereits an der Hand) stellte sich für Steinkopf aber noch eine Frage: Wollen junge Menschen denn von Menschen wie mir was lesen, was erfahren?
2018 reist er mit zwei weiteren Finalist*innen zum Kranichsteiner Literaturförderpreis (heute: „Großer Preis des Deutschen Literaturfonds“) nach Darmstadt, wo er neben einer Fachjury auch einer Schüler*innenjury ein unveröffentlichtes Textstück vortragen soll. Unabgesprochen hatten alle Finalist*innen denselben Gedanken: einen Text zu schreiben über das Jungsein, über den Alltag der Schüler*innen, denen sie dort begegnen.
„Wir waren da und es war der Hammer!“ Die Schüler*innen lassen sich auf den Dialog ein, stellen Fragen, die wunderbar respektlos sind, wollen wissen warum die Geschichte so endet, nicht anders. Das sind keine toten Autoritäten ihnen gegenüber, die man eben nicht mehr in Frage stellen darf, sondern tatsächliche Autor*innen, die auch nicht viel älter sind und denen man sagen kann, was man dazu denkt. Die einen ernst nehmen.
Der Fall ist klar. Das Interesse ist da an Gegenwartsliteratur, die Theorie bestätigt die Idee. Literatur ist rundum gut. Das einzige Problem bleibt der Zugang und das ist die zentrale Idee hinter Steinkopfs Sammelband. „Neue Schule. Prosa für die nächste Generation“ umfasst 14 Erzählungen von verschiedensten Autor*innen. Hier soll für jeden und jede etwas dabei sein. Das Buch ist nicht dazu gedacht, es von vorne bis hinten einmal durchzulesen, es lädt vielmehr zum Durchblättern ein. Und wenn man dann von einer Geschichte erfasst wird, dann kann man eben los und sich noch ein Buch des bzw. der gelesenen AutorIn holen. Mit Kurzgeschichten zur Gegenwartsliteratur!
Die Geschichten beschreiben Situationen und Erinnerungen, in denen man sich wiederfindet. Seien es heiße Sommerferien mit viel Freizeit und keiner Möglichkeit, diese eigenständig zu befüllen, mit klebrigem Eis am Stiel und einer Hitze, die einen wortwörtlich lähmt. Oder die Geschichte über Lucian und Beziehungen, die schon aufhören, bevor sie überhaupt beginnen dürfen. Oder der schmale Grad zwischen Schule und dem aufkeimenden Leben außerhalb, über Freundschaft und Verrat oder einfach die erste Trunkenheit.
Prosa für die nächste Generation könnte gut ergänzt werden mit Prosa von der letzten Generation. Ganz nah dran und doch mit einer Ahnung davon, was da noch kommt, darüber schreiben hier Autor*innen mit dem Blick aufs Leben mit 16.
Unter der Rubrik „Kultur trotz Corona“ kann man auf dem Literaturportal Bayern zehn Interviews von Leander Steinkopf mit den Autor*innen des Bandes nachlesen.