Jella Lepman hat der Jugend Hoffnung gegeben – inmitten von Trümmern und Traumata.

Von Markus Czeslik

„Gebt uns Bücher, gebt uns Flügel“, die Inschrift am Grab der Jella Lepman bringt ihr Lebenswerk auf den Punkt. Die jüdische Schriftstellerin und Journalistin hat den Zweiten Weltkrieg im Londoner Exil überlebt und dort u. a. für die BBC, später dann für die „American Broadcasting Station in Europe“ gearbeitet. Amerikaner und Briten sendeten zusammen gegen die Nazi-Propaganda. Inmitten des Krieges veröffentlicht Lepman unter dem Pseudonym Katherine Thomas das Buch Women in Nazi Germany. Sie erschreibt und erarbeitet sich einen Ruf als engagierte Kämpferin für die Völkerverständigung und wird nach Kriegsende 1945 von der US-Armee als Beraterin für Frauen- und Jugendfragen wieder nach Deutschland geschickt.

Jella Lepman wagt den Schritt zurück, ins Land der Täter, und kommt zunächst in Bad Homburg an. Ihr Blick fällt auf die Kinder und Jugendlichen, denen es an allem fehlt, nicht nur an „Brot und Kleidung“, sondern auch an „Nahrung für den Geist“, den der Faschismus vergiftet hatte. Fortan macht sie es sich zur Mission, der Fantasie der Kinder Flügel zu verleihen und Literatur als friedensstiftendes Medium einzusetzen. Inmitten von Trümmern und Traumata.

In der Unterstützung und Bildung der jungen Generation liegt für Jella Lepman der Schlüssel. Zu ihren amerikanischen Arbeitgebern sagt sie entschlossen: „Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen. Sie werden den Erwachsenen den Weg zeigen.“ Später wird sie in ihren Erinnerungen schreiben: „Die Kinder tragen keine Schuld an diesem Krieg. Deshalb sollen ihre Bücher die ersten Boten des Friedens sein.“

Über die Literatur will sie der Jugend wieder die Tür zur Welt öffnen: Die Idee einer „Kinderbuchbrücke“ wird geboren – aber wie soll sie umgesetzt, geschweige denn finanziert werden? Lepman gewinnt nicht nur die US-Generäle, sondern Verleger weltweit für eine Wanderausstellung mit qualitativ guten Kinder- und Jugendbüchern. Sie tritt eine Welle los. Bücherspenden aus zahlreichen Ländern landen in München, wo Jella Lepman nur ein Jahr später, im Juli 1946, ausgerechnet im Haus der Kunst, die „Internationale Ausstellung des Jugendbuchs“ eröffnet. Es ist die erste Ausstellung überhaupt, die in Deutschland nach dem Krieg stattfindet. Die Bücher reisen anschließend quer durch Deutschland, doch Jella Lepman denkt ihr Lebensprojekt von Beginn an groß und international. Sie legt ein enormes Tempo vor, ist berühmt für ihre Hartnäckigkeit – oder wie einige Weggefährten sagen –: Sie kann nerven. Und das musste sie auch.

Unter anderem zählt US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt zu ihren Unterstützer*innen. In Deutschland gewinnt sie zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller für ihre Idee, Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ wäre ohne Jella Lepmans Vision nicht entstanden. Und schließlich, im September 1949, realisiert sie ihren großen Traum: die Eröffnung der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) in München, zunächst in einem Gartenhaus in der Kaulbachstraße. Bis 1957 leitet sie selbst die IJB, zwei Jahre später verlässt sie die Stadt Richtung Zürich. Den Umzug der Bibliothek in die Blutenburg in Obermenzing erlebt sie nicht mehr. 1970 stirbt Jella Lepman mit 79 Jahren in der Schweiz. Eine Gedenktafel neben dem Eingang zum Schloss erinnert an diese außergewöhnliche Frau, die sich durchgesetzt und der Jugend neue Perspektiven eröffnet hat.

Bisher in der Reihe erschienen: Gedenktafel für Franziska zu Reventlow an der Leopoldstraße 41, für B. Traven an der
Clemensstraße 84, für Gottfried Keller an der Neuhauser
Straße 35, für Annette Kolb in der Händelstraße 1, für Schalom Ben-Chorin an der Zweibrückenstraße 8, für Carla-Maria Heim am Johannisplatz 10 und für Heinrich Heine in der Hackenstraße 7.

Mehr über Gedenktafeln finden Sie hier:
Andrea Kästle: München leuchtete nicht für jeden – Was Gedenktafeln der Stadt verschweigen
Paperback, 232 Seiten, Allitera Verlag, München 2024
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