Von Herbert Hollitzer

Auch ich war einmal jung. Auch ich wollte einmal nach den Sternen greifen. Auch ich wollte mal die ganze Welt verändern. Aus mir sollte mal was richtig Großes werden, berühmt natürlich, sowieso.

Als Kleinkind war ich still und ängstlich. „Nein“ zu sagen lernte ich erst spät. Das galt als brav und machte mich beliebt. Erst in der Pubertät wurde ich dann richtig frech und dann gleich wie. Auch ich war einmal jung.

Im Kindergarten kam ich zur Schwester Lydia im grauen Kleid und mit weißem Häubchen. Wir waren von ihr eingeschüchtert. Von einer Art Geschirr umkleidet gingen wir oft in Zweierreihen spazieren. Geredet wurde selbstverständlich nicht. Und ich war ja immer noch so jung.

Dann begann der Ernst des Lebens. Legasthenie war noch nicht erfunden und wer davon betroffen war, den hielt man halt für dumm. Und alles Üben unter vielen Tränen brachte kaum Erfolg. Drum war der Schulweg jedes Mal beklommen. Nur der Heimweg war voll hüpfender Freude. Und nur in diesen kurzen Momenten war ich noch immer jung. Mein bester Freund war Winnetou und später auch Robinson Crusoe. Diese Tagträume waren meine Lebensretter. Nur darin war die Welt so bunt und schön. Ich war darin auch richtig stark und hatte vor niemand Angst. Ich konnte fliegen und keiner durfte mich verhauen. Und Selbstmord war auch keine Lösung mehr. So war es, denn ich war ja noch so jung.

Die Mädchen wurden interessant. Wie eine Frau wohl nackt aussah? Mein Pornoheft war Mutters Quelle-Katalog. Die Seiten mit der Unterwäsche versetzten mich in Staunen. Küssen übte ich an meinem eignen Oberarm. Mein Gott, ich war ja noch so dumm.

Die Schule aus und alle Fragen offen. Was soll nur aus dem Jungen werden? Auf keinen Fall so wie die Erwachsenen waren. Die haben vor Jahren noch „Heil“ geschrien und wollten uns zwingen, so spießig zu werden wie sie. Meinen Dienst fürs Vaterland leistete ich als Zivi in der Psychiatrie. Der Zivi galt als Drückeberger und so was machte sich nicht gut im Lebenslauf. Mit 21 galt ich jetzt als erwachsen und war nun nicht mehr jung. Die Autoritäten fand ich blöd und lächerlich. Wir wussten alles besser und rebellierten, wo es ging. Meine Idole waren Jesus und Karl Marx. Mit beiden ließ sich wenig Geld verdienen. Ich wollte für die Mächtigen auf dieser Welt nicht einfach nur ein nützlicher Idiot sein. Dann schon lieber Sand im Getriebe und Spucke in der Suppe. Lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht sein. Das war mein Anspruch an das Leben. So dachte ich damals zum Ende meiner Jugend. Die weiteren Jahre haben mich geprägt und viele große Pläne sind misslungen. Das Schicksal wirft dir allzu oft recht viele Knüppel in die Beine und trotzdem war es schön und auch die dunklen Tage glänzen in der Erinnerung.

Wir planen und wollen und streben, wir erträumen uns ein tolles Leben und was wir Schicksal nennen ist oft nur die Folge unserer eigenen Fehlentscheidungen. Ob es klug war oder nicht, erkennen wir erst dann, wenn die Würfel schon gefallen sind. Doch nur, wer seine Träume in all den Jahren immer noch nicht vergessen hat, bleibt für immer jung. Und in diesem Sinne fühle auch ich mich ganz tief hier drinnen noch immer herrlich jung.