Der Hanser Verlag wird als erster deutscher Verlag einen amerikanischen Roman in
Originalausgabe veröffentlichen. Ist das der Einstieg in eine neue publizistische Tätigkeit? Ein Gespräch mit dem Verleger Jo Lendle.
Von Michael Berwanger
Spätestens seit dem Erscheinen der „Harry Potter“-Romane ist in Europa der Anteil an Büchern, die im Original gelesen werden, enorm gestiegen. Wobei sich das nachvollziehbarerweise auf die englische Sprache bezieht. Immerhin sind die meisten Menschen inzwischen der englischen Sprache so weit mächtig, dass sie Romane, die sprachlich nicht zu komplex sind, mit Genuss lesen können. In Deutschland werden bei Neuerscheinungen von wichtigen internationalen Autor*innen inzwischen 20 bis 25 Prozent im Original abgesetzt. In den skandinavischen Ländern liegt der Anteil deutlich höher, sodass sich für Verlage dort eine Übersetzung nicht mehr rentiert. Und genau darin liegt das Problem. Die Originalausgaben werden von britischen oder amerikanischen Verlagen weltweit auf den Markt geworfen, die einheimischen Verlage haben dadurch keine Einnahmen an diesem wichtigen Marktsegment.
Um diesem Problem etwas entgegenzusetzen, wird Jo Lendle, Verleger des Hanser Verlags, einen Neuansatz wagen: Im Frühjahr 2026 wird Hanser als erster deutscher Verlag einen Roman T. C. Boyles in englischer Originalfassung für den europäischen Markt veröffentlichen. Die deutsche Übersetzung erscheint dabei bereits im Herbst 2025. „Natürlich“, so Jo Lendle, „hat es immer schon Veröffentlichungen in Originalsprache gegeben, wie beispielsweise bei Reclam. Und in unseren Gedichtbänden machen wir das ja schon lange so, dass wir zweisprachige Ausgaben herstellen, aber es ist ein absolutes Novum, dass ein deutscher Verlag die exklusiven Vertriebsrechte für den deutschsprachigen Raum und Kontintentaleuropa erwirbt“. Dass dies nicht zur Freude der Originalverlage geschieht, kann man sich vorstellen. Lendle: „Die amerikanischen Verlage sind natürlich ganz generell not amused und die britischen noch weniger, denn traditionellerweise bestücken hauptsächlich die britischen Verlage den europäischen und außeramerikanischen Markt mit den englischsprachigen Ausgaben. Dabei muss man wissen, dass diese Verlage dafür eigene Ausgaben veranstalten. Die schicken gar nicht die Originalausgaben, die sie für den eigenen Markt produzieren, ins Ausland, sondern sogenannte Export Editions, qualitativ schlechter gemacht, auf grobem Papier. Diese Ausgaben werden hauptsächlich für Indien, Australien, Südafrika – die großen englischsprachigen Territories – in hohen Auflagen billig hergestellt, zudem verdienen die Autor*innen daran deutlich weniger.“ Genau das ärgert Jo Lendle, denn, „wir übersetzen das aufwändig, geben uns viel Mühe mit der Ausstattung und beteiligen die Urheber fair, da können wir mit den Billigprodukten nicht mithalten“. Hinzu kommt, dass die Verlage bei den Lesereisen der Autor*innen viel Aufwand, aber wenig Gewinn haben. „Wenn an den Abenden in einer ausverkauften Muffathalle die Leute zwei Stunden zum Signieren am Buchhändlertisch anstehen und am Ende das englischsprachige Exemplar kaufen“, so Lendle, „dann schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es stört mich ja gar nicht, dass die Leute das auf Englisch lesen, das ist keine antiamerikanische Attitüde, aber ich denke, schade, wir hatten jetzt echt großen Aufwand und bei uns bleibt dadurch nichts hängen.“
Auch der Buchhandel fragt schon seit geraumer Zeit, ob deutsche Verlage nicht selbst die englischsprachigen Fassungen publizieren könnten, da die Logistik im eigenen Land einfacher und schneller geht, die Wege kürzer sind und Remittenden nichtverkaufter Exemplare sich zurücksenden lassen.
Dieser Neuansatz sei nun erst einmal ein „Versuchsballon“, so Jo Lendle. Während in Deutschland die Absatzzahlen bei T. C. Boyle abschätzbar seien – beim letzten Roman wurden im Erscheinungsjahr 120.000 deutschsprachige und 25.000 Exemplare in Originalsprache abgesetzt – seien die Zahlen in den übrigen europäischen Ländern nicht kalkulierbar. Zwar gäbe es für den Nachfolgeroman von T. C. Boyle schon Absprachen, aber der Hanser Verlag wolle erst einmal abwarten, wie sich die Verkäufe jetzt entwickeln würden. Bei der Frühjahrsbuchmesse in London, auf der früher traditionellerweise Lizenzen gehandelt wurden, sei der Neuansatz des Hanser Verlags das große Thema. Zum einen wolle man sehen, ob der Deal gut funktioniere, zum anderen schaue man auch auf die Reaktionen der amerikanischen und britischen Verlage. „Die haben da schon versucht die Daumenschrauben auszupacken“, so Lendle.
Ein Nebenaspekt, der weder in den USA noch in Europa rechtlich geregelt ist: Wem gehören die Rechte am Lektorat? Wenn beispielsweise ein Hörbuchverlag einen Roman einlesen lässt, wird die redigierte Fassung genommen. „Im Augenblick machen wir das auf Gentlemen’s Agreement-Basis“, erzählt Lendle, „wir bewegen uns da alle auf rechtlich unsicherem Terrain.“
Der Lizenzhandel finde ohnehin im Wesentlichen nicht mehr auf den Messen statt – London im Frühjahr, Frankfurt im Herbst. Heute werden Lizenzen schon im Vorfeld ausgehandelt. Man bespreche sich zwar auf der Messe, aber gerade die weltweit wichtigen Titel würden „per
E-Mail zwischendurch geklärt. Das berühmte Phänomen, auf der Messe nachts noch ein Manuskript zu lesen, um dann morgens ein Angebot auf den Tisch zu legen, ist sehr, sehr viel seltener geworden“, meint Jo Lendle. „Dennoch ist die Messe wichtig – ein Netzwerkverknoten, damit das dann mit den Deals zwischendurch funktioniert.“
Im Moment aber blicken alle auf den Hanser Verlag und warten, wie die Reaktionen ausfallen werden. Speziell die amerikanischen Agenturen schauen mit Neugier, wie die Sache funktioniert. Lendle: „Fragen Sie mich nach Erscheinen nochmal, wie es gelaufen ist. Im Moment läuft es darauf hinaus, dass wir alle irgendwie miteinander kooperieren.“