Elisabeth Schinagl erzählt von der Blüte der Ziegelbrennereien im Münchner Osten und seinen „Lehmbaronen“.
Von Stefanie Bürgers
Wer im Münchner Osten Grund und Boden besitzt, hat Glück. Dort erstreckt sich eine Lehmzunge von Ramersdorf über Haidhausen und Unterföhring bis Ismaning. München boomt im 19. Jahrhundert, die Industrialisierung lässt die Stadt stetig wachsen. Dringend benötigt werden: neue Wohnviertel und Bahnhöfe. Im Untergrund entsteht die Kanalisation, oben glänzt München mit Prachtstraßen, Theatern, Brücken und der Pinakothek. Ziegel sind für all das unentbehrlich.
Um ein Gefühl für die Örtlichkeiten ihres historischen Romans zu entwickeln, folgt die Autorin Elisabeth Schinagl der Zieglerfamilie Seidl-Selmayr auf Erkundungsgängen. Zusätzlich liefern Familienchroniken Einblicke. Die Protagonist*innen seien historisch belegt, so Schinagl, doch die Darstellung der Charaktere entspringe teils auch der Fantasie.
Derb und betont maskulin lässt Schinagl Lorenz Seidl, vulgo Schmiedlenz, in Ramersdorf auf eigenem Grund durch Flur und Familie ackern. Kindersegen entspringt täglicher „ehelicher Pflicht“. Man haust zusammen und verrichtet sein Tagwerk. Kindersegen dient der Altersvorsorge, geheiratet wird aus Geldgründen. Gestorben wird viel und früh. Lenz’ erste Frau Katharina stirbt nach fünf Kindern mit 37. Zwei weitere Ehefrauen folgen. 24 Kinder sind es am Ende. Lenz, Neuem gegenüber aufgeschlossen, hat Geschäftssinn und eine Vision: Ausbau des Ziegeleibetriebs. Anders Kaspar Selmayr vom Bogenhausener Hanslmarterhof. Er ist Landwirt und Anhänger des Altvertrauten. Als langjähriger Gemeindevorsteher von Bogenhausen hat sein Wort Gewicht. Was, wenn einmal abgeziegelt, die Lehmsohle verbraucht ist? Dann ist der Boden für die Landwirtschaft ruiniert. Noch ist der Hof nicht übergeben und so schwelt ein Konflikt mit dem Sohn Josef.
Seit der Heirat Anna Selmayrs, der Schwester von Josef, mit Georg Seidl, dem Sohn vom Lorenz, sind die Familien verbunden. Sowohl Georg als auch Josef haben viele Geschwister, die auszuzahlen sind. Trotz gewinnbringender Ziegelei nicht ganz einfach. Doch die Mitgift der Anna Maria, Tochter des Schmiedlenz, bringt Josef Selmayr in die Lage, Geschwister und endlich auch die Eltern auszuzahlen. Seine Ziegelei ist „Gold wert“. Der Hanslmarterhof wird abgerissen und die „Bürgermeistervilla“ errichtet, noch heute Zeugnis von Wohlstand und sozialer Bedeutung der „Lehmbarone“. Schinagl erzählt lebensnah und historisch dicht über einen spannenden Teil Münchner Stadtgeschichte.
Elisabeth Schinagl:
Lehmbarone
Roman, Paperback, 208 S.
Allitera Verlag, München 2025
18 Euro