Geschriebenes wird im Kopf zum Film 

Von Stefanie Bürgers

Ein schnarrendes, schlagendes Geräusch, ein Tonband oder Film rollt auf einer Spule und es geht los mit Henriette Fridoline Schmidt. Auf „poetischen Hörwegen … eine Wanderung durch Kopf und Stadt“ erleben, so fordert sie auf mit verheißungsvoller Stimme. Und schon folgt man ihr.

Im Folgenden drei Kostproben:

#1 In den Gedankensog einer Passantin auf Münchens Prachtstraßen gerät man in der ersten Folge „Sonst Ruhe vor blauem Himmel“. Woher die „Leichen in den Kellern“ entlang der breiten, klassizistischen Ludwigstraße und der pappelgesäumten, konsumorientierten Leopoldstraße? Unerwartetes lässt stolpern, verharren, neu ansetzen, um zu begreifen. Das Ohr hört, was das geistige Auge noch nicht recht fassen kann. Die Wahrnehmung setzt wiederholt neu an und konjugiert sich vorsichtig tastend, über verschiedene Zeiten hinweg, um all den Gedanken, auch dem Gedenken, gerecht zu werden. Und immer allgegenwärtig: das Atmen der großen Stadt, mit hallenden Schritten, Stimmen, Lärm aus Straßencafés und von Motoren. Katrin Diehl, Theatertexterin und Journalistin, lässt Wahr-zeichen der Münchner Stadtansicht Wahr-heiten begegnen, die sich der Flaneurin / dem Flaneur nicht ohne weiteres en passant erschließen.

#2 Im Kopf einer beredten Stadtführerin reift in der zweiten Folge „Das Gute, das Schlechte, das Hässliche“ der Wunsch aufzubegehren. Sie hebt den Blick, will sich lösen vom ewig gleichen Kreisen um sich selbst und die Stadt. Durch die Brille dieser „Cicerona“ treffen wir auf Amüsantes, Gebildetes, Gewagtes und Vertrautes in ungewohntem Licht. Verdrossen vom ewigen Lobpreis der Schönheit ihrer Stadt bricht sich der Unmut der Stadtführerin vehement Bahn, bis am Ende mit schulterzuckender Resignation der gewohnte Pfad wieder betreten wird: die so genannte „Auszog’nen Runde“ vom Frischhut bis zum Platzl. So lässt Benno Heisel, Darsteller und Autor, Musiker und Dramaturg seine Protagonistin einen ehrlichen – vom Auftrag der Werbetrommlerin losgelösten – Blick auf München werfen. Ausbrechen, aus dem Rahmen fallen … Ein befreiendes Gedankenspiel in Zeiten von Beschränkung.

#3 Für die unglücklich verliebte Studentin Nike sind die Ecken und Winkel der Maxvorstadt in der dritten Folge Wegmarken ihrer Erlebnisse mit ihrem Liebhaber: die Treppen vor der Glyptothek, die Eisdiele BallaBeni, die Gabelsberger Straße. Ein doppeltes Spiel müsste enden. Doch wie etwas lösen, wenn die Welt um sie herum dieselbe bleibt und vertraute Wege sie mit Erinnerungen quälen? Die Autorin Sophia Klimanek lässt uns ein Stück lauschen, beim Entstehen ihres Romans „Seidenschwarz“. Die Auflösung? Geheim, bis das Buch erscheint. Der Film im Kopf läuft weiter.

Trotz Theater-Shutdown in Zeiten von Corona ist das Projekt der Münchner Autor*innen, Münchner Theatertexter*innen und freien Autor*innen – vorgetragen und initiiert von Henriette Fridoline Schmidt, unterstützt und begleitet vom Theater HochX – ein frisches, unmittelbares Literatur-Theater-Erlebnis, das ab Mitte Juni 2020 bereits mit zwei weiteren Folgen aufwartet. Kein Abstandsgebot, keine Maskenpflicht, Kopfkino eben.

Nach- und weiterzuhören unter folgendem Link: http://theater-hochx.de/kopfkino.html
und auf der BR-Kulturbühne:
www.br.de/kultur/kopfkino-poetische-spaziergaenge-durch-muenchen-100.html