Jacqueline Kornmüllers Geschichte über eine starke, unbeugsame Frau
Von Stefanie Bürgers

Großmutter Lina steht im himmelblauen Damast-Nachthemd auf dem Balkon ihrer Pension in „Bindestrich“ und beobachtet ergriffen ein UFO, wovon sie ihrer Enkelin berichtet. Die Internatsschülerin Jacqueline hängt sehr an der Großmutter, mit der sie eine Verabredung hat: Jeden Donnerstag wird sie um dieselbe Zeit in einer Telefonzelle angerufen. Im Rudel anderer Schülerinnen nimmt sie gelassen Linas Bericht auf und erklärt, „so ein UFO zeigt sich nicht jedem, Du bist die Einzigartigste, der gastfreundlichste Mensch, den ich kenne.“
Der Titel „6 aus 49“ täuscht. Es geht nicht um Lotto, es geht um Glück. Linas positive Lebenseinstellung, ihre Offenheit, Empathie und die kraftvolle Art, das Leben anzugehen, zeigen Wirkung. Dinge entwickeln sich in ihrem Sinn. Das war ihr nicht in die Wiege gelegt.
In bitterer Armut wächst Lina im ländlichen Bayern auf, muss sich früh als Kind bei einer anderen Familie verdingen, später in München durchschlagen. In einem der nobelsten Hotels von München steigt sie zum Serviermädel auf. Mit ihrer ruhigen, stetigen Kraft findet sie Förderer. In diesem Hotel begegnet sie auch Maria, die ihr zeitlebens eine loyale Freundin bleibt.
Beide gehen Anfang der 30er Jahre nach Garmisch. Der Fremdenverkehr nimmt Fahrt auf. Lina gelingt es, sich mit 28 Jahren ihren Traum zu erfüllen: eine eigene Pension, die „Amalie“. Tag und Nacht wird geschuftet, um Gäste mit frischer Wäsche und verlockend duftenden Speisen zu verwöhnen.
Lina und Maria erleben, wie der Ort zwangsweise mit dem Nachbarort zum „Bindestrich“ verbunden wird, damit das Naziregime mit der Olympiade nach außen glänzen kann, wie während der Spiele judenfeindliche Schilder und nach den Spielen jüdische Freunde verschwinden, wie ihre Ehemänner, Kinder und Gäste kommen und gehen. Einer dieser Gäste klopft spät nachts an. Lina ist ausgebucht, richtet ein Bett im Wohnzimmer. Nie wird einem Gast die Tür gewiesen. Es folgt: eine Lawine amerikanischer Urlauber aufgrund von Empfehlung in einem Reiseführer.
Erst Linas Enkelin hat den Blick für den großen Schatz an Glück, den Lina anzunehmen weiß, bevor sie am Ende tatsächlich auch noch im Lotto gewinnt. Einzig in der Liebe hatte sie kein Glück, aber das nahm sie anders wahr.
Jacqueline Kornmüller, die als Schauspielerin und Regisseurin in Wien lebt, schafft mit bemerkenswertem Wortwitz und zartfühlendem Ausdruck, die außergewöhnliche Haltung und Anmut ihrer Großmutter zu schildern und dabei auch nachdenkliche Überlegungen anzustellen. Sehr lesenswert.

Jacqueline Kornmüller: 6 aus 49
Roman, gebunden, 224 Seiten
Galiani-Berlin, 2025
23 Euro