[LiSe 01/18] Kurzgeschichte: VRBOVSKO

Die Sonne zieht letzte Lichtschleppen über den Horizont. Der Asphalt ermattet und gerät ins Visier herandunkelnder Wälder. Übergriffiges Schwarz rückt Baumstamm um Baumstamm vor. Die Mittellinie bringt sich in Stellung. Ich muss nach Vrbovsko.

Aufwärts. Riesige Nachtschattengewächse beschweigen den Husten, der mich seit Tagen begleitet. Ertretenes Gefunzel vor der Gabel. Steige ich ab, frisst mich das bodenlose Dunkel des kroatisch-slowenischen Grenzgebiets. Ich muss nach Vrbovsko.

In Passau übernachtete ich bei meiner Mutter. In Linz speiste ich in Urfahr. In Wien schwamm ich in der Donau. In Ungarn fuhr ich an wogenden Gänsefeldern vorbei. In Budapest bröckelte der Ostblock. Sommer 1989 und ich muss nach Vrbovsko.  (mehr …)

[LiSe 01/18] Als die Dichter die Macht übernahmen

Volker Weidermanns Buch „Träumer“ bringt Literatur und Politik zusammen

Von Katrina Behrend Lesch

Die Bayrische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher Könige hinweggefegt.“ So, wird überliefert, begann Kurt Eisner seine Rede, in der er Bayern zum Freistaat und sich selbst zum Ministerpräsidenten erklärte. Sie ist nicht dokumentiert, wie so vieles, was in dieser heißen kurzen Zeit zwischen November 1918 und April 1919 passierte, doch Augenzeugen erzählen von ihrer bannenden Wirkung. Es sollte der Beginn einer neuen Welt werden, in der alles möglich war: radikaler Pazifismus, direkte Demokratie, soziale Gerechtigkeit, die Herrschaft der Fantasie. Einen magischen Moment lang hatten die Dichter die Macht übernommen, träumten davon, nach dem schrecklichen vierjährigen Krieg eine Herrschaft des Volkes auf die Beine zu stellen, eine Herrschaft der Solidarität und Menschenfreundlichkeit. Kaiser und König waren abgesetzt, der Krieg war durch Kapitulation beendet worden, nun sollte das Volk regieren, und es würde seine Sache gerecht und gut machen. Es blieb ein Traum, das böse Erwachen ließ nicht lange auf sich warten. (mehr …)

Münchner Stadtbibliothek initiiert Literaturformat „Salon Mayer“

Mit zwei renommierten Frauen als Gästen startet am 8. und 9. Dezember die neue Reihe „Salon Mayer“ im Forum der Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig, Rosenheimer Straße 5, und macht damit die Tradition des literarischen Salons öffentlich. Eine Lesung am Abend und das literarische Frühstück am folgenden Tag bringen durch Texte, Gespräche und Musik Gäste und Publikum zusammen. Der Eintritt an beiden Tagen ist frei. Am Freitag, 8. Dezember, um 19 Uhr stellt Comic-Autorin Barbara Yelin ihren Comic-Roman „Irmina“ im Gespräch mit der Autorin Julya Rabinowich und dem Literaturwissenschaftler Klaus Blanc vor. Im Anschluss spielen der Cellist Eugen Bazijan und der Gitarrist Vlado Grizelj Jazz-Standards. Am Samstag, 9. Dezember, um 11 Uhr folgt ein Literaturfrühstück, in dessen Zentrum dann Julya Rabinowich mit ihrem Roman „Spaltkopf“ steht. Sie wird zeichnerisch begleitet von Barbara Yelin.

(mehr …)

[LiSe 12/17] Geschenke – ein literarisches Ratespiel

In zehn Werken der Weltliteratur erfüllen Geschenke ihren Zweck: so hintersinnig, wie es eben große Autoren und Autorinnen ersinnen können. Auch eine Anregung für den literarischen Gabentisch. Wir wünschen viel Vergnügen beim kleinen Ratespiel!

  1. Ein amerikanischer Autor aus Chicago, Nobelpreis 1976, entwirft, durchsetzt mit fiktiven Briefen an Eisenhower, Einstein, Spinoza die
    Lebenskrise eines Professors, der seine kapriziöse Ehefrau verliert und sein Kind mit Geschenken an sich binden will:

Als erfahrener Vater wartete er weise, bis sie den (Ford) Falcon erreichten und sagte erst dann: „Ich habe Geschenke für dich im Kofferraum!“ „O Papa, was hast du mitgebracht?“ … Und er überlegte, wie sie diese Welt der großen Werkzeuge, der physikalischen Prinzipien und der angewandten Wissenschaft einst erben würde.

  1. Österreicher wider Willen, der in seinem umfangreichsten Roman von Rom aus die engen Verhältnisse seiner Heimat sezieren lässt:

Die Mutter sagt zu einem solchen Mann, ich schenke dir einen Erben und nimmt ihm gleichzeitig und tatsächlich praktisch alles weg. Andererseits hat der neue Vater das Gefühl, die Schuldigkeit getan zu haben, auf die es ihm angekommen ist. Ist der Erbe da, interessiert ihn die Frau gar nicht mehr. (mehr …)

[LiSe 12/17] Kolumne: Aufrichten, bitte!

Der immer dichter wabernde Nebel über den gewaltigen Literatur-Preisen dieses Herbstes hat sich endlich gelichtet, die Prämien werden rechtzeitig vor dem Fest bei den Dichtern eingehen, der Prix Goncourt mit sehr deutscher Thematik hat uns alle überrascht, und die Weihnachtsbäumchen leuchten allerorten. – Alles gut! Die arme Thea Dorn wird sich aus der liegenden Position langsam aufrichten, nachdem sie der jüngste Franzobel-Roman „Das Floß der Medusa“ (bereits im August, vor dem ZDF-Quartett) „umgehauen“ hatte. Gut, dass sie ihm jetzt auch noch als Jurymitglied den berühmten Bayerischen Buchpreis zusprechen konnte! Eben alles doch sehr familiär! München darf sich die Hände reiben, denn der Schweizer Buchpreis ging an den Neu-Münchner Jonas Lüscher mit sagenhaften 30.000 SF, die der Autor sicher in unseren lokalen Wirtschaftskreislauf einspeisen wird! Da der Deutsche und der Österreichische Buchpreis mit der Familie Robert und Eva Menasse ebenfalls an benachbarte Alpenländler ging, wäre jetzt nur noch die Schweizer Fernseh-Literaturkritikerin Nicola Steiner (SF und 3Sat) aufzurichten, die hin und wieder von ihr rezensierte Bücher schlicht „zum Niederknien“ findet. Da sie aber auch in der Jury des Schweizer Preises saß, wird ihr unser Jonas schon aufhelfen können. (mehr …)

[LiSe 12/17] Dichter-Denkmäler (Folge 2): Heinrich Heine und München

Ein ungereimtes Verhältnis

Von Antonie Magen

Vom Herbst 1827 bis Sommer 1828 war Heinrich Heine in München als Redakteur von Cottas „Neuen allgemeinen politischen Annalen“ tätig. Die Charakterisierungen, die er für die bayerische Residenzstadt gefunden hat, sind nicht eben schmeichelhaft. So ist in einem Brief vom Februar 1828 davon die Rede, dass in München „ein niederträchtiges Clima“ herrsche, was nicht nur metereologisch zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich dabei auch um eine Aussage zur politisch-weltanschaulichen Atmosphäre, in der sich der liberale, durch seine rheinische Herkunft republikanisch geprägte Heine nicht heimisch fühlte. In einem zweiten Brief wird er dann deutlicher und spricht von „Kleingeisterey von der großartigsten Art“. (mehr …)