„Mann was ist das Schreiben doch für eine Macht“ 

Von Ursula Sautmann

Sehnsucht, Ehrfurcht, Demut, Selbstüberforderung: In diesem kleinen Satz „Mann was ist das Schreiben doch für eine Macht“, entnommen dem Roman „Klassenliebe“, steckt viel von Karin Struck und ihrem hohen Anspruch an die Literatur. Dabei geht es ihr um die Macht, die Dichter und Schriftsteller auf sie ausüben, wie auch um die Macht, die sie selber mit dem Schreiben ausüben möchte. In vielen ihrer Werke bezieht sie sich auf andere Dichter, so in „Klassenliebe“ auf Goethe’s Werther, in „Die Mutter“ auf Brecht, Gorkij und Pearl S. Buck, in „Männertreu“ auf Moravia und Gabriele Wohmann. Sie, die nicht mit Büchern aufwächst, verschlingt Literatur, sieht sich im Dialog mit Dichtern und Schriftstellern, möchte aber mehr, nämlich Menschen aus der Unterschicht in ihren Werken eine Stimme geben. „Ich muss meine Kraft des Schreibens finden, meine Wortgewalt des Schreibens“, formuliert sie in einem ihrer Essays mit dem Titel „An die Frauen“.

2006 ist Karin Struck gestorben, nach langer Krankheit, im Alter von nur 58 Jahren. Ihr Werk ist nur auf den ersten Blick gebunden an die Zeit der 70er und 80er Jahre, die im Spannungsfeld zwischen beharrenden Altnazis und bewegten Studenten stand. Sie hat uns so viel zu sagen, heute noch und heute wieder.

Karin Struck, geboren 1947 in Schlagtow bei Greifswald, siedelte mit ihren Eltern 1953 in die BRD über, die Familie mochte sich mit der Zwangskollektivierung in der DDR nicht anfreunden und stand vor der Aufgabe, sich ein neues Leben aufzubauen. Der Vater arbeitete in der Textilindustrie, als Eisengießer, als Postbote. Die Tochter machte Abitur und studierte Romanistik, Germanistik und Psychologie. Die Dissertation wurde nie fertig. Stattdessen erschien „Klassenliebe“ 1973, ein Bestseller, der vielen jungen Menschen aus der Nachkriegszeit aus der Seele sprach.

Denn Karin Struck formuliert in diesem Buch in großer Schonungslosigkeit sich selbst gegenüber die Nöte und Zweifel, die einem Studenten, und mehr noch: einer Studentin dieses Jahrzehnts kommen können, die ihr bildungsfernes Elternhaus verlässt und sich im gnadenlos bildungsbürgerlich dominierten akademischen Milieu zurechtfinden soll. „Ja, intelligent sind Sie nicht allzusehr, sagt der Psychologe im Bielefelder Arbeitsamt, aber fleißig und ausdauernd, das sind Sie, wie alle Arbeiterkinder, die bringen es zu was, weil sie sich durchbeißen, die wissen zu kämpfen“, erzählt sie von ihren Erfahrungen in „Klassenliebe“.

Der ewige Kampf – mit sich und der Welt, mit den Männern und den vier Kindern, mit den Milieus der Herkunft und der eigenen Gegenwart – setzt sich fort in ihren Werken, „Die Mutter“ (1975), „Lieben“ (1977), „Trennung“ (1978), „Zwei Frauen“ (1982), um nur einige zu nennen. In „Blaubarts Schatten“ (1991) und „Ich sehe mein Kind im Traum. Plädoyer gegen die Abtreibung“ (1992) nimmt sie unter größtem persönlichen Einsatz Stellung in einer öffentlichen Diskussion, der es eigentlich weniger um das Für und Wider einer Abtreibung als um deren Straffreiheit geht. Sie will „die Widersprüche ohne Angst offenlegen“, wie sie bereits in „Klassenliebe“ programmatisch schrieb – radikal und leidenschaftlich. Sie konvertiert zum Katholizismus und verliert, vom christlichen Umfeld abgesehen, einen großen Teil ihrer Leser*innen.

258 Manuskripte umfasst der Nachlass, der in der Monacensia verwahrt und erschlossen ist. Diese Manuskripte (und 15 fremde) sind zugänglich, nicht so (bis 2047) etwa 950 Briefe, zahlreiche Tagebücher und 688 Fotografien. Anfragen hierzu sind möglich bei der Karin-Struck-Stiftung e.V., die 2007 von Weggefährten und Kindern der Schriftstellerin gegründet wurde. Ihre Tochter Sarah Ines – Autorin, Beatpoetin, Performancekünstlerin – teilt mit ihrer Mutter die Auffassung, dass eine klare Trennung zwischen Privatem und Politischem, zwischen den persönlichen Beziehungen und den gesellschaftlichen Strukturen Fiktion ist. Sie hat sich der Dichtung verschrieben, die ihre Mutter so bewundert hat; das hier abgedruckte Gedicht zeugt von der kritischen Verbundenheit zwischen Mutter und Tochter. Wer sich für Karin Struck, ihr Leben und Werk interessiert, findet bei der Stiftung eine Anlaufstelle.