[LiSe 07/20] Kurzgeschichte: Die Piloten

Von Paul Holzreiter

Der Himmel ist blau, die Piloten, schick in ihren orangefarbenen Overalls, Deutsche Luftwaffe, die Flieger mögen es, wenn der Himmel blau ist. Wir haben sie heraufgefahren, Hotel Lalibela, Café Lalibela, Kaffee und Kuchen in unserem schicken weißen Zelt „Café Lalibela“, Geräuschkulisse wie Freibad. Der Tisch und die Bänke sind schon mal in einem bayerischen Biergarten gestanden. Ja, sagen die schicken deutschen Piloten in den orangefarbenen Overalls und geben uns recht, klingt tatsächlich wie Freibad, aber sie haben nicht viel Zeit. Piloten haben nie viel Zeit. Wir werden sie wieder hinunterfahren zu ihrem Flugzeug, fünf Mann, eine Transall der Deutschen Luftwaffe. Ein solches Flugzeug, sagen sie uns, sei nichts, was man einfach herumstehen ließe. Aber sie wollten es mal sehen, unser Hotel Lalibela. (mehr …)

[LiSe 07/20] Literatur-Theater-Projekt: Literatur einmal anders: „Kopfkino“

Geschriebenes wird im Kopf zum Film 

Von Stefanie Bürgers

Ein schnarrendes, schlagendes Geräusch, ein Tonband oder Film rollt auf einer Spule und es geht los mit Henriette Fridoline Schmidt. Auf „poetischen Hörwegen … eine Wanderung durch Kopf und Stadt“ erleben, so fordert sie auf mit verheißungsvoller Stimme. Und schon folgt man ihr.

Im Folgenden drei Kostproben:

#1 In den Gedankensog einer Passantin auf Münchens Prachtstraßen gerät man in der ersten Folge „Sonst Ruhe vor blauem Himmel“. Woher die „Leichen in den Kellern“ entlang der breiten, klassizistischen Ludwigstraße und der pappelgesäumten, konsumorientierten Leopoldstraße? Unerwartetes lässt stolpern, verharren, neu ansetzen, um zu begreifen. Das Ohr hört, was das geistige Auge noch nicht recht fassen kann. Die Wahrnehmung setzt wiederholt neu an und konjugiert sich vorsichtig tastend, über verschiedene Zeiten hinweg, um all den Gedanken, auch dem Gedenken, gerecht zu werden. Und immer allgegenwärtig: das Atmen der großen Stadt, mit hallenden Schritten, Stimmen, Lärm aus Straßencafés und von Motoren. Katrin Diehl, Theatertexterin und Journalistin, lässt Wahr-zeichen der Münchner Stadtansicht Wahr-heiten begegnen, die sich der Flaneurin / dem Flaneur nicht ohne weiteres en passant erschließen. (mehr …)

[LiSe 07/20] Rezension: Literatur, die Retterin

In Erinnerung: der Dichter, Schriftsteller und Literaturkritiker Peter Hamm

Von Katrin Diehl

Zu welcher Größe wächst Literatur, wenn man ihr sein Leben verdankt? Nicht, dass man ohne sie tot umgefallen wäre, aber man hätte es wohl kaum heraus geschafft aus der miefigen Dumpfheit, aus den gewaltschwangeren Kinder- wie Jugendtagen, die einem zugedacht waren. So etwas führt zu einem fast körperlichen Verhältnis zum Buch, zur Literatur, zu allem Gedruckten, zu „Kraut und Rüben“. Die Entdeckung von Geschichten, Gedichten, wohlgesetzten Texten kann am Ende Kraft geben, die Weichen umzustellen. Und man kommt da raus aus diesem Sumpf. Als „Motiv“ zieht sich der „Rettungsanker Literatur“ durch ganz viele Büchermenschen-Existenzen. Wir wissen das, und auch, dass sich das Schicksal damit die unermüdlichsten Anwälte und Anwältinnen der Literatur herangezogen hat, ausgestattet mit einer fast zwanghaften Literaturleidenschaft, die jedoch immer, ganz tief drinnen, einen Schmerz in sich trägt. Bis es den „Gäulen der Erinnerung“ in einem freien, fast befreienden Moment erlaubt ist, los zu galoppieren, eine „Gelegenheit“, die – ohne Frage – nur ein anteilnehmender Zuhörer, eine anteilnehmende Zuhörerin herzustellen vermag. (mehr …)

[LiSe 07/20] Rezension: Ziemlich beste Freunde

Von Slávka Rude-Porubská

Kinder des Südens, Kameraden, Blutsbrüder“ – das sind die zwei besten Freunde Kapia und Leviathan aus dem Debütroman des slowakischen Autors Peter Balko, den Zorka Ciklaminy ins Deutsche übertragen hat. Erst acht Jahre alt und schon neunmalklug, grundverschieden und doch unzertrennlich sind die beiden; der eine, draufgängerisch und heißblütig, ist zu jeder Rauferei bereit, während der andere, schüchtern und pummelig, lieber mit den erlebten und erfundenen Streichen ganze Hefte füllt: „Kapia tötete jeden Tag mindestens ein Tier, ich putzte mir jeden Abend die Zähne. Kapia spuckte, ich schrieb.“ (mehr …)

[LiSe 07/20] Rezension: Der verlorene Vater

Von Katrin Diehl

Am Anfang steht der Tod und das Erstaunen des erwachsenen Sohnes darüber, was das bei ihm auslöste, vaterlos zu sein. Denn eigentlich war er das schon lange gewesen. Der Vater, unfähig für ein Familienleben, unfähig, Verantwortung zu übernehmen, hatte die Szene verlassen. Zurück geblieben waren die Mutter und ihr siebenjähriger Sohn. Eine kleine Schicksalsgemeinschaft, ein kleiner Scherbenhaufen und Geldsorgen hingen in der Luft. (mehr …)

[LiSe 07/20] Rezension: Buch des Sommers

Von Slávka Rude-Porubská

Mit leichtfüßigen Dialogen, grandiosen Landschafts- und Stadtszenen und feinem Sprachgespür für unterschiedliche Settings nimmt uns der aus dem Nachlass der legendären Verlegerin Helen Wolff zum ersten Mal veröffentlichte Text auf eine Reise in Raum und Zeit mit. Gemeinsam mit der jungen, androgynen Ich-Erzählerin und ihrem viel älteren, vermögenden, an Luxusleben gewöhnten Liebhaber brechen wir aus Deutschland „in die besonnte Welt“ auf. Die heiße, sommerliche Landschaft Südfrankreichs soll der „Hintergrund für Liebe“ des in ihrem Habitus und Hingabe sehr ungleichen Paars sein – und wird doch zur Kulisse der temporären Trennung: „Ich will leben, und Du willst Dich amüsieren. Nein, Lieber – nicht mit mir.“ Und wir reisen in die 1930er Jahre zurück, in denen einerseits die Geschlechterordnung zwar aufregend neu definiert wird, sich andererseits die politische Lage in Europa jedoch zunehmend verdüstert. (mehr …)