[LiSe 11/15] Kolumne: #Flop & Top

Jetzt, da der Pulverdampf der Salutschüsse sich verzogen hat vom 100. Geburtstag des vermeintlichen Politikers F. J. Strauß, wird uns schmerzlich bewusst, wie wenig FJS doch als großer Lyriker gewürdigt worden ist! Dabei enthält sein brillanter Vers „Eher gehe ich Ananas / Züchten in Alaska, als / Bundeskanzler zu werden“ Witz und Sprache moderner Poesie im Kern, in nuce, wie er gesagt hätte. Vorbei, vorbei, die Bundeskanzler-Sache war sein Flop und damit auch die Poesie. (mehr …)

[LiSe 10/15] Kolumne: Nobel-Skat

Wieder den ersehnten Anruf aus Stockholm nicht bekommen? Vom Sekretär der Akademie nicht nach IBAN und BIC gefragt worden? Schmerzhaft wird man daran erinnert, wenn am 10. Oktober der Literaturnobelpreisträger bekannt gegeben wird, und die Überweisung von acht Millionen Schwedischen Kronen (ca. 867.000 Ä) auch dieses Jahr ausbleibt. Uns wurden die geheimen NSA-Protokolle einer Skatrunde zugespielt, die GG einige Wochen vor seinem Tod mit zwei anderen Großen im Münchner Schelling Salon einberufen hatte, mit Martin Walser (MW) und Peter Handke (PH). Man muss vielleicht noch wissen, dass Nobelpreisgewinner vorschlagsberechtigt sind für einen neuen Kandidaten, den die Schwedische Akademie benennt. (mehr …)

[LiSe 07/15] Kolumne: Vergesst Fritz!

Sommer ist’s, die helle, leichtsinnige Zeit des Kofferpackens, Reisens und auch des Lesens: Zu viele Bücher einpacken lieber, als zu wenige, wie im letzten Jahr, als dann der Regen kam – aber welche? Der Blick auf die Bestsellerlisten zeigt uns: Die üblichen Verdächtigen. Donna Leon mit 23stem Brunetti, Martin Suters raffinierte Routine,
Houellebecqs Muslim-Konstruktion und dann noch jede Menge Krimis, Thriller, die psychologisch raffiniert und sprachlich vom Allerfeinsten sein sollten. Die Krimi-Wahl ist schwer im Angesicht der Wirklichkeit, die uns aus den Journalen anspringt. Kostprobe: Ein Landwirt, angeblich von seinen Kindern ermordet, von Hunden gefressen und doch Jahre später tot in der Donau aufgefunden – da ist’s schon schwer, einen Pageturner zu finden, der den Puls noch höher treiben könnte, wenn man die Füße irgendwo zwischen Waterloo und Wangerooge, Amrum und Antalya im mehligfein gemahlenen Sand stecken hat.

Waterloo, wie bitte? Das Schlimme ist doch: Ständig jährt sich irgendwas, jetzt plötzlich Waterloo und Bismarck! Beide feiern 200sten Geburtstag und lassen Bücher auf den Markt werfen, von denen man – um vor sich selbst bestehen zu können – doch mindestens eins gelesen haben muss. Vor kurzem war es erst der Alte Fritz. Dann Weltkrieg Eins und dann die Callas oder umgekehrt. Naturgemäß verderben sie einem den leichten Lektüresommer, nach dem man gelechzt hat wie nach der Mocca-Eiskugel und dem Campari in der schattigen Strandbar.

Lionel Jospin dagegen hat es richtig getroffen. Lionel who? Jaja, die Zeit ist so vergesslich. Der Mann war noch vor kurzem Premierminister und hat letztes Jahr endlich auf 250 Seiten derart mit Napoleon („Le Mal napoléonien“) abgerechnet, dass man dessen Namen eigentlich vergessen kann! Über den braucht man gar nichts mehr zu lesen, der ist in der Tonne, ein Glück! (Apro-pos „Tonne“: Da gäbe es auch noch die „Regentonnenvariationen“ von Jan Wagner, 57 Gedichte, preisgekrönt, meist harmlos, aber mal was anderes.) Und: es wäre hoch an der Zeit, dass
einer wie Jospin käme und unseren deutschen Reliquienschrein aufräumte:
Etwa „Vergesst Bismarck“, den „Alten Fritz“ und „Vergesst Friedrich Barbarossa“ sowieso! Alles Militaristen – ja Gerd, wo bleibst Du denn jetzt? Schröder, wenn Du nicht gerade mit Putin bist oder an deinen Haaren fummelst, dann könntest Du à la Jospin eine neue Beck-„Vergiss“-Reihe starten, mit finanziellem Erfolg! Wir rekeln uns derweilen schon mal unterm Sonnenschirm und lesen Süffiges und warten ab, was von Geschichte bleibt, wenn alle Kriegstreiber raus sind. Oder sollte man vielleicht doch dieses ganz dünne Waterloo-Büchlein einpacken, aus Bildungsgehorsam, das für 8,95 Euro, 127 Seiten?
W.H.

[LiSe 05/15] Kolumne: Apropos Y

Die Operette spaltet bekanntlich die besten Familien. Der Onkel, ansonsten ein fabelhaft-ernsthafter Mensch, aber musikalisch ausschließlich auf Operette fixiert, von dem weiß man einfach, wes Geistes Kind, um hier mal den schweren Degen des Genetivs zu ziehen. Aber, aber, man darf ihre Hauptdarsteller nicht unterschätzen! Der verstorbene Oberst Muammar al-Gaddafi, Tyrann mit Sonnenbrille und blinkenden Orden, blutbesudelt und im Nebenberuf libyscher Lyriker (wir nähern uns buchstäblich unserem Hauptthema) schien bei manchen Foto-Auftritten so operettenaffin, als wollte er sogleich „Martha, Martha“ machen, und er hütete inmitten seines Landes jenes Y, um das es seit einigen Monaten (eigentlich) jenen beiden Buffogestalten geht, die durch unser TV-Wohnzimmer tänzeln, Yanis V und Alexis T.

Denn nicht um griechische Milliarden geht es. Die sind längst verloren, und Volkswirte warnen sogar vor den Folgen
erzwungener Rückzahlung – es geht um Y, den Exoten, der sich als 25ster von 26 Buchstaben entschädigungslos vom griechischen ins deutsche Alphabet eingeschlichen hat und den Anker bildet so wichtiger Begriffe wie „Lyrik“, „Mythos“ und – ja, warum es verschweigen – „Bayern“. Als Yanis Varoufakis, griechischer Finanzminister, den Deutschen angeblich den Mittelfinger zeigte, war das natürlich ein verunglücktes Y, nichts anderes, und es war als Drohung gemeint: Wir holen unseren griechischen Buchstaben zurück! Eine Katastrophe:  Müthen, Lürik, ja auch Baiern, das seit 1825 durch königlich-philhellenisches Edikt eine griechische Wurzel bekam, wären ohne den Ur-Griechen nicht mehr denkbar. Man müsste dann schon ganz auf diese Begriffe verzichten. Und erst das Y-Chromosom! Als Geschlechtschromosom bewirkt es die „Ausbildung des männlichen Phänotyps“ – na schön, für manche Leserin wäre dieser Verlust noch am leichtesten zu verschmerzen, versteht sich. Eventuell verzichtbar auch die „Generation Y“, wie die Teenager-Generation zwischen 1990 und 2010 genannt wird, denn sie gilt als anspruchsvoll und sorglos in Geldfragen – aber in den Verhandlungen um TTIP würde Y von kulturlosen Ökonomen glatt wegrasiert. Und das, genau das kann der Buffo Yanis nicht wollen! Das Y den urkapitalistischen Amerikanern opfern!

Und so wird am Ende des Tages, da alles Operette, und Operette immer die Ausdehnung und Zuspitzung des Möglichen betreibt, ein Duett stehen und Yanis V. schließlich um die Hand von Angela Myrkel anhalten und sie wird „ya“ sagen und alles bleibt wunderbar Y.
WH.

[LiSe 04/15] Kolumne: Drohne, mon amour

Nicht immer gibt es etwas zu lachen.
Vielleicht sitzen Sie gerade auf der Terrasse, fasziniert von der Aktienseite der FAZ, hören das Summen von oben gar nicht, das immer näher kommt. Die Rotbuche, noch etwas kahl, wirft ihren flirrenden Frühlingsschatten auf den Garten, als die Tochter plötzlich ruft:
„Papa, schau mal, da fliegt dein neuer Walser.“

 

Tatsächlich blinkt etwas über dem Baum, etwa 30 cm lang, hat zwei oder drei Propeller, versucht sich herabzusenken, kämpft sich durchs Geäst und setzt sich schließlich auf das alte Baumhaus, das Sie vor Jahren mit den Jungs gebaut haben. Ach, diese Buch-Drohne endlich, denken Sie, na das wurde aber auch Zeit. Kommt aber nicht bis zu Ihnen herunter, klinkt am Baumhaus den bestellten Roman aus und hebt ab, fiept.

Das alles ist nicht Sci-Fi, das ist technisch ausgereift, rechtlich weitgehend abgeklärt, Luftverkehrsverordnung, Lärmschutz-Abstandsregelung, Nachbarrechte usw., für ein paar Euro bekommt man ja so ein Flugteil im Fachhandel. Jetzt liegt das Buch aber auf dem Baumhaus. Guter Rat ist billig.

Sie rufen einfach Robbie zu sich. Den Roboter vom letzten Weihnachtsbaumpaket. Geschenk der erwachsenen Söhne. Ihre Tochter legt ihm frische Akkus ein. Die Leiter zum Baumhaus ist längst morsch. Kein Mensch kommt da mehr hoch.

Sie flüstern in seinen Mini-Membrantrichter die Worte „Baum, klettern, Buch holen“, und schon wackelt er los und krallt sich mit seinen spitzen Greiffingerchen und Zehen in den glatten Stamm der Buche, verschwindet affenartig zwischen Ästen und Baumhaus, greift sich das Buch, mehr können Sie nicht erkennen, dann passiert nichts mehr. Es wird Abend. Amadrohn ist inzwischen über der Buche aufgestiegen, Ihr Handy hat gepiepst und gemeldet „Der neue Walser ist geliefert.“ – Sie hatten zwar Stephen King bestellt, „Joyland“, aber Buch ist Buch, und so genau muss man‘s schließlich auch nicht immer nehmen.

Robbie kommt aber nicht mehr herunter. Die Drohne kreist noch einmal über dem Haus und dreht dann ab, Sie werden unruhig. Der Hausroboter sollte das Buch längst …

Wahrscheinlich werden Sie Ihren Kollegen beim nächsten Meeting erzählen, was passiert ist, und jeder kann eine andere kleine Geschichte von seinem Robbie oder der Drohne beisteuern. Ihren haben Sie vom Balkon aus mit dem Fernglas gesehen, wie er in den Roman vertieft auf dem Baumhaus saß und las und eingeschlafen ist über (dann doch) S. King und erst am nächsten Tag das Buch auf den Gartenstuhl gelegt hat – das ist doch ganz normal, er ist eben Walser-Fan. Die Kollegen werden Ihnen noch ganz andere Stories erzählen. In Bälde.
WH.

[LiSe 03/15] Kolumne: Lyrik, Hybris

Lyrik, ach, wo bleibt dein Frühling! Der Frost krallt sich in die Erde bis tief hinein in den März, und auch das zarte Pflänzchen Lyrik wagt sich zwischen den Eisplatten von Krimis und Thrillern, der Lava dröger, dickleibiger Prosa kaum ans Licht. Poesie spreizt sich aber auch, ist pubertär, abweisend, streitlustig und will nicht immer verstanden werden. Aber: Lyrik ist auch, was im Ohr hängen bleibt, gesungen, geschmalzt, geträllert. Wer wusste das besser, als der Großlyriker Udo Bockelmann alias Jürgens, de mortuis nil nisi: „Siebzehn Jahr, blondes Haar…“, ist das nicht eigentlich ein verkapptes Frühlingspoem? Kaum ein anderer oder wagen wir zu sagen: Kein anderer hat es geschafft, derart viele lyrische Ohrwürmer in unsere Gehirne zu pflanzen, wie der ewige große Junge, der nach Konzerten im weißen Bademantel vom Podium herunter Jung und Alt die Hände reichte und reichen wollte bis in alle Ewigkeit – 60 Jahre Erfolg auf Erfolg . Über 100 Millionen Tonträger verkauft. Und doch, der Zweifel nagt: Musste er seine Tournee mit 80 Jahren „Mitten im Leben“ nennen? War das nicht klassische Lyriker-Hybris, wie sie seit eh und jäh bestraft wird?

Hölderlin, null Tonträger, hatte übermütig 1798, weh mir wo nehm ich, wenn es Winter ist, die „Hälfte des Lebens“ besungen, wohl in der Annahme, die zweite läge noch vor ihm und erlitt damit Schiffbruch, weil er schon wenige Jahre danach (manche sagen, schon während) in geistige Umnachtung geholt wurde – von den Göttern, ganz offenbar, wo er mit ihnen im Dunklen diese zweite Halbzeit spielen musste. Hängen wir den weißen Bademantel von Udo J.  nur einmal probeweise um die Schultern des Nürtingers Friedrich H., so wird schnell deutlich, dass dieser wohl noch nicht einmal in der nächtlichen Hälfte seines Lebens derart albernweiß ummäntelt auf den Gedanken verfallen wäre, seine Fans zu verabschieden, wobei andererseits er eben nie in die Verlegenheit des Händeschüttelns – Schiffbruch? Wenn das nicht das eigentliche Thema des Dichters ist, was dann?

Er darf, er soll sein Schiff verlieren. Am besten in jedem Gedicht. Aufbrechen, Risiko, das Gewohnte verlassen usw. Michael Krüger hat Recht, wenn er, wie jetzt auf der Poetica 1 in Köln sich zur Poesie bekennt: Sie kann spannend sein, existentiell, geheimnisvoll, umwerfend. Aber eben auch siebzehn Jahr blondes Haar; oder um es mit Enzensberger auf den Punkt zu bringen: „Lyrik nervt“.
WH.