by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Lyrische Kostprobe
Verlorene Herde
Die Bäume stehn
auf einem Bein
in nasser Wiese
Kra – kra, komm mit
Unsere Schafe
unsere Schafe weiden
Sie weiden
anderswo
Hinter den blauen Bergen
umkreist von Krähenschwärmen
sitzen wir
unter einem Baum, blinzeln
und schaun
Kra – kra, komm mit
Achim Bade
by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Kurzgeschichte
Von Elisabeth Weinkauf
An einem regnerischen Wochentag Ende April geht bei der Polizei in München ein Notruf ein:
„Ich werde von einem Islamisten bedroht und festgehalten.“ – „Wo sind Sie?“
„Ich bin gerade beim Joggen, irgendwo im Wald. Da stellt er sich mir in den Weg und hält mich am Ärmel fest. Und spricht arabisch auf mich ein. Und ruft ständig „Allah“. Er hat einen riesigen schwarzen Hund bei sich. Der ist an mir hochgesprungen und wollte mir ins Gesicht. – Da, hören, hören Sie es?“ (mehr …)
by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Rezension
Von Stefanie Bürgers
Paula, Jahrgang 1915, betet den Rosenkranz jeden Tag mehrmals. Sie trägt ihn bei sich in der rechten Tasche der Kittelschürze. Die Perlen laufen durch ihre Finger. Der Erste Weltkrieg hat ihr den Bruder genommen, der Zweite den Bräutigam. Am Ende des Krieges hat sie ein behindertes Kind, das gleich gestorben ist. Dann noch ein Mädchen. Von einem Mann, der Vater und Großvater hätte sein können. Das Schweigen von Paula ist der Bann, der bis heute nicht gebrochen ist. Tochter und Enkelin dieses Mannes tragen seine dunklen Züge, die aus dem Rahmen des Dorfes im katholischen Oberschwaben fallen. Geheimnisse trennen, blockieren. Sandra Hoffmann, Enkelin von Paula, imaginiert an Hand alter Fotos das Leben der Großmutter, will ihr das Leben schenken, das diese nicht erzählen konnte. In einer drängenden Sprache voller Metaphern reiht sie Sätze, Assoziationen, die vor dem Vergessen bewahren. Die Autorin erkennt, dass die Großmutter mit ihrem Schweigen nicht „Schutzmantelmadonna“ sondern Quell Sandras eignen Unwohlseins ist.
Sandra Hoffmann
Paula
Roman, 160 Seiten
Hanser Verlag Berlin, 2017
18 Euro
by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Rezension
Von Katrina Behrend Lesch
Der Held des Romans, mit dem Sinclair Lewis Weltruhm und 1930 als erster Amerikaner den Nobelpreis für Literatur errang, ist gänzlich unheldisch. George F. Babbitt, sechsundvierzig, Häusermakler, verheiratet, zwei Kinder, tappt durch sein Leben, ohne es richtig zu leben, und als er einmal wagt, gegen den Strom zu schwimmen, bekommt er schmerzlich die Macht der Mehrheit zu spüren. Der Inbegriff des Allerweltstypen, bestehend aus Klischees und Phrasen, Stoff für eine Satire, doch dem Autor ist viel mehr gelungen. Durch die satirische Tünche, mit der er seinen Helden anstreicht, schimmert etwas zutiefst Menschliches. Zweifel an dem, was man ist, Angst davor, sich so zu zeigen, Reue darüber, scheinbar Gesichertes aufgegeben zu haben. Sinclair Lewis veröffentlichte seinen Roman 1922. Manesse präsentiert eine Neuübersetzung in einer Zeit, die uns den Amerikaner der middle class, mit dem wir seit der Trump-Wahl mehr und mehr fremdeln, ein wenig begreiflicher macht.
Sinclair Lewis
Babbitt
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben
Roman, 284 Seiten
Manesse, München 2017
28 Euro
by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Rezension
Von Michael Berwanger
Das finnische Onkalo ist in diesem Roman nicht als Ort gedacht, sondern als Metapher für das, was getan werden muss und das Gleichmaß des ewig Wiederkehrenden. Matuschek lebt mit seinen 40 Jahren immer noch mit seiner Mutter zusammen, irgendwo im Nordosten der neuen Bundesländer, dort wo alle wegziehen, wenn sie noch können. Matuschek aber bleibt. Er hat nur wenig Freunde und einen gleichförmigen Alltag. Aber das ist ihm recht so. Als in kurzer Folge seine Mutter und einer seiner Freunde sterben, gerät sein gleichförmiges Leben ins Wanken, ein langsamer unaufhörlicher Strudel zieht ihn abwärts, bis ihn kurz vor dem endgültigen Scheitern ein Nachbar rettet. Die 1980 geborene Mecklenburgerin Kerstin Preiwuß hat in ihrem zweiten Roman die großen Fragen des Lebens auf ein kleines Provinzdorf heruntergebrochen. In der kleinen Welt spiegeln sich Wut, Sehnsucht, Schmerz, Tod und Liebe. Die Autorin, die als Lyrikerin bekannt geworden ist, verwendet dabei eine prosaische Sprache, die Bilder von Weite und Achtsamkeit entstehen lassen.
Kerstin Preiwuß:
Nach Onkalo
Roman, 230 Seiten
Berlin Verlag, 2017
20 Euro
by LiSe | 5. Dez. 2017 | Blog, Rezension
Von Ursula Sautmann
Cora ist als Sklavenkind geboren. Schon ihr Großvater wurde in die Sklaverei gezwungen, ihre Mutter hielt es nicht aus und verschwand, als Cora zehn oder elf war. Von da an war sie auf sich allein gestellt auf der Sklavenfarm in Georgia. Colson Whitehead erzählt schonungslos über das Leben auf der Sklavenfarm. Die Grausamkeiten kommen fast beiläufig daher, ob sie nun von den Sklavenhaltern an ihrem „Eigentum“ oder von den Sklaven untereinander vollbracht werden. Whitehead schreibt nicht über Sensationen, sondern über das, was „normal“ war und doch unvorstellbar bleibt.
Ein Buch über das Elend des Sklavendaseins zu Weihnachten? Muss das sein? Ja, denn „Underground Railroad“ zeichnet ein unvergessliches Bild. Und dabei macht das Buch Cora und mit ihr alle Sklaven nicht erneut zum Opfer. Der Leser leidet mit, aber er muss die Protagonistin nicht bemitleiden. Sie ist eine Außenseiterin, eine Einzelgängerin, die – allem Elend zum Trotz – vertrauen kann und Hilfe findet.
Colson Whitehead
Underground Railroad
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Roman, 349 Seiten,
Carl Hanser Verlag, 2017
24 Euro