SAID – Gentleman aus Giesing

von Klaus Hübner

Wenn Giesing ein Krankenhaus wäre, dann wäre die Tegernseer Landstraße die „Notaufnahme“, hat die Süddeutsche Zeitung einmal geschrieben. Die bunte und lebendige „Tela“ ist auch deshalb etwas Besonderes, weil dort seit Jahrzehnten ein großer Dichter lebt: SAID. 1947 in Teheran geboren, musste er sein Heimatland schon 1965 verlassen. Seitdem ist er Münchner, genauer gesagt: Giasinger. Unbekannt ist SAID nicht. Er kann auf ein umfangreiches Werk zurückblicken, das beim Lesepublikum wie in der Literaturkritik auf lebhaftes Echo stieß und stößt – Gedichte zumeist, aber auch exzellente Prosa, dazu noch Hörspiele und Essays.

Er wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit der Goethe-Medaille und dem 2017 definitiv verblichenen Chamisso-Preis, und er hat sich mit einigem Erfolg in der deutschen Sektion des P.E.N. für Schriftstellerkollegen aus aller Welt eingesetzt. Ein marktgängiger Allzweckautor allerdings ist SAID niemals gewesen. Er ist ein Dichter im emphatischen Sinn dieses Wortes, ein Poet, der im Dauerdialog mit den größten Literaten aus allen Welten und Zeiten steht, er ist ein politischer Kopf und ein subversiver Gentleman – und er ist, das ganz besonders, ein feurig glühender und zugleich unendlich achtsamer Liebhaber der deutschen Sprache. Die Weltliteratur und die große Politik, philosophische Reflexion und theologische Spekulation, Reiseimpressionen und Alltagsbeobachtungen, die zwischen verzehrender Leidenschaft und abgrundtiefer Verzweiflung changierende Seelen- und Körpersprache der Liebe, das Glück und das Unglück und schließlich der Tod – das sind zentrale Themenfelder seiner Gedichte. SAID, den man durchaus einen bayerischen Poeten anderer Muttersprache nennen darf, schreibt faszinierende Gedichte – auf Deutsch natürlich. Zuletzt ist „september in varna“ erschienen, eine Liebesgeschichte zweier Exilierter, die am Schwarzen Meer spielt, wo sie manches, nicht nur ihr eigenes persisches Geflüster, an die gemeinsame Heimatstadt erinnert.

Teheran jedoch ist für beide unerreichbar: „nachts am schwarzen meer / trinken wir wodka / und schwärmen von unserer stadt / inzwischen eingedunkelt / durch die macht der eindeutigen / ob wir je in teheran / unseren wodka trinken?“. Eine unverblümt erotische und zugleich ungemein zärtliche Liebesgeschichte ist das, und natürlich ist es keine Geschichte, sondern ein Reigen meist acht- oder sechszeiliger Gedichte, den man als Geschichte lesen kann, aber nicht muss. Jedes von ihnen hat seinen eigenen lyrischen Duktus, und jedes könnte auch für sich stehen: „unsere schritte / beunruhigen die stadt / passanten bleiben stehen / und blicken nach uns / die bäume neigen die kronen / und lauschen / wir entziehen uns dem wort / und flüchten in küsse“. Ist das nicht schön?

SAID
september in varna
Liebesgeschichte in Gedichten
94 Seiten
Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke
Tübingen 2019
12 Euro