Alles, was faul und schlecht war
Die Landeshauptstadt und ihr Emigrant Feuchtwanger – ein schwieriges Verhältnis
Von Ina Kuegler
Früher hatte die schöne, behagliche Stadt die besten Köpfe des Reiches angezogen. Wie kam es, dass sie jetzt fort waren, dass an ihrer Stelle alles, was faul und schlecht war im Reich und sich anderswo nicht halten konnte, magisch angezogen nach München flüchtete“. Dieses Urteil über München stammt aus dem Jahr 1925, Lion Feuchtwanger hält es in seinem Roman „Erfolg“ fest, zieht selbst die Konsequenz: Er verlässt München und lebt fortan in Berlin. Noch Jahrzehnte später ist das Verhältnis Feuchtwanger – München ein angespanntes. Mittlerweile gibt es ein Lion-Feuchtwanger-Gymnasium in der Landeshauptstadt und eine nüchtern-anmutende Tafel am St.-Anna-Platz, die an den weltweitbekannten und (zwangsweise) weltweitgereisten Schriftsteller erinnert.
Lion Feuchtwanger stammt aus einer jüdischen Familie in Fürth, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in München niederlässt und mit Beginn der 80er Jahre eine Margarine-Fabrik in Haidhausen betreibt. Am 7. Juli 1884 kommt Lion zur Welt, und zwar in der Thierschstraße, im Lehel. Diesem Stadtteil bleiben die Feuchtwangers noch Jahrzehnte treu, so besucht Lion zunächst die St.-Anna-Volksschule und später das Wilhelmsgymnasium. Von 1889 bis 1900 lebt die Familie am St. Anna Platz 2 – dort hängt auch seit 1966 die Gedenktafel. Im Wintersemester 1903/04 geht Lion an die Münchner Uni und studiert Philologie, Geschichte, Philosophie und Anthropologie, vier Jahre später promoviert er über das Heinrich-Heine-Werk „Rabbi von Bacherach“. Von einer akademischen Laufbahn wird Lion abgeraten – für Juden gebe es an der Uni keine Aufstiegschancen.
Diese Doktor-Arbeit bzw. der damit verbundene Doktortitel sollen Jahrzehnte später Gegenstand von Debatten und Briefwechseln werden, in denen sich nicht nur die Universität blamiert – sie sind auch Beleg dafür, wie schwer sich die Stadt München tut, ihren ruhmreichen Schriftsteller zu würdigen. In der (fälschlichen) Annahme, dass die Nazis dem Schriftsteller den Doktor-Titel entzogen haben, entspinnt sich 1952 ein Briefwechsel zwischen Feuchtwanger und Philosophischer Fakultät, die dem in Kalifornien lebenden Emigranten den Doktor-Titel wieder zusprechen will und dabei in mehreren Briefen immer wieder den Titel seiner Promotion unterschiedlich verhunzt. Aus „Rabbi von Bacherach“ wird „Rabbi von Biberach“ etc. pp.
Doch es sollte noch peinlicher kommen, und zwar 1957. So schreibt Andreas Heusler in seiner Feuchtwanger-Biografie: „Auf das Vorspiel folgt das eigentliche Drama.“ Im Juli 1957 spricht sich im Münchner Rathaus der Kulturausschuss mit knapper Mehrheit dafür aus, Feuchtwanger mit dem Literaturpreis auszuzeichnen. CSU, FDP und Bayernpartei waren ursprünglich gegen den Emigranten zu Felde gezogen und setzen dies fort, als der Autor zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution der Zeitschrift „Literaturnaja Gazeta“ ein Glückwunschtelegramm schickt. Einstimmig erklärt der Münchner Stadtrat im November 1957, dass der Literaturpreis für Feuchtwanger nur dessen künstlerische Leistung anerkenne, nicht aber dessen „politische Haltung“.
SPD-Kulturreferent Herbert Hohenemser hält zum Schriftsteller und wird auch knapp zehn Jahre später aktiv, als es um eine Gedenktafel für Feuchtwanger geht. Den Anstoß dazu gibt der in Kalifornien ansässige Generalkonsul Hans Rolf Kiderlen, der im November 1965 an Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel schreibt: Marta Feuchtwanger (also die Witwe des Autors) „würde sich sehr freuen, wenn die Stadt an dem Hause, in dem Lion Feuchtwanger groß wurde, am St. Anna Platz 2, eine Gedenktafel anbrächte“. Im Januar 1966 informiert Vogel den Generalkonsul, dass die Tafel kommt und dass der Süddeutsche Verlag die anfallenden Kosten von 2000 Mark übernimmt. Die Inschrift auf der Tafel lautet: „Zum Andenken Lion Feuchtwanger– geb. 7.7. 1884 in München, gest. 21. 12. 1958 in Los Angeles. Der Schriftsteller und Literaturpreisträger der Landeshauptstadt München verlebte seine Kindheit vom 28.5. 1889 bis 11.9. 1900 in diesem Haus.“
P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner am Jakobsplatz, von Heinrich Heine im Finanzgarten und von Goethe am Maximiliansplatz.