Die Monacensia ist wiedereröffnet – und damit deren neue Ausstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“. Zur besseren Orientierung und/oder zum Nachlesen ist jetzt im Pustet-Verlag der dazugehörige Katalog erschienen. Verfasserin ist Elisabeth Tworek, die Kennerin der bayerischen und Münchner Literaturszene schlechthin. Die Leiterin der Monacensia hat deren literarische Nachlässe gesichtet, Leben und Werk von SchriftstellerInnen wie etwa Frank Wedekind, Ludwig Thoma, Lena Christ, Annette Kolb oder der Familie Mann skizziert und dazu eine Fülle von Fotos, Briefen, Tagebuchnotizen etc. gestellt. Herausgekommen ist ein Schmöker für die Ewigkeit.
„Wenn Sie binnen 24 Stunden das Atelier nicht verlassen, lasse ich Sie polizeilich ausweisen“ – diesen unfreundlichen Brief erhält Franziska von Reventlow am 26. März 1897. Das Kündigungsschreiben (übrigens in schöner, klarer Handschrift) ist nur ein Beispiel für die zahllosen Dokumente in dem 255 Seiten umfassenden Band. Schon mit der Schreibmaschine ist die Krankenakte von Oskar Maria Graf verfasst. Da registrieren die Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt Haar am 3. 6. 1916: „Stimmung öfters wechselnd. Das Stottern ist fast ganz verschwunden.“ Ob Graf wirklich an einer Kriegspsychose leidet oder nur simuliert, um aus dem Militär entlassen zu werden, lässt Elisabeth Tworek offen. Eindeutig und unmissverständlich ist dagegen Erika Manns Leidenschaft fürs Autofahren. Die Tochter Thomas Manns lässt sich vom Motorsport sogar zu einigen Glossen inspirieren. So charakterisiert sie den Autofahrer, der bei Gegenverkehr nicht abblendet, mit den Worten: „Er wird dir eines Tages dein Erbteil stehlen und dir auch sonst peinlich auf die Nerven gehen.“
Informativ und kurzweilig ist dieser Katalog, der entsprechend zur neuen Ausstellung in der Monacensia in sieben Abschnitte unterteilt ist. Am Anfang stehen Frank Wedekind und die Anfänge Schwabings mit so unterschiedlichen Phänomenen wie den „Elf Scharfrichtern“, den Kaffeehausliteraten, den Künstlerkneipen oder der Zeitschrift Simplicissimus. Breiten Raum nimmt der Erste Weltkrieg mit seinen Befürwortern Ludwig Ganghofer oder Ludwig Thoma und den Gegnern Graf und Heinrich Mann ein. Im Zentrum des Buches steht die Familie Mann, deren Schicksal bis in die Zeit nach 1945 verfolgt wird. Karl Valentin, Liesl Karlstadt und Erika Manns „Pfeffermühle“ sind Beispiele aus dem Kapitel, das sich der „Vergnügungssucht am Rande das Abgrunds“ widmet.
Abgeschlossen wird der Band mit den Themen Emigration und Exil der Münchner Literaturszene, wobei Tworek auch AutorInnen wie Max Mohr oder Grete Weil würdigt. Zeugnisse aus den USA oder Shanghai beweisen, wie elend es vielen einst gefeierten KünstlerInnen im Ausland geht. So bekennt Hermann Kesten: „Ich weiß nicht, wie weit Menschen, die nie ihr Land zu verlassen gezwungen waren, sich das Leben im Exil vorstellen können, das Leben ohne Geld, ohne Familie, ohne Freunde und Nachbarn, ohne die vertraute Sprache, ohne einen gültigen Pass. Wer begreift diesen rechtlosen Zustand von Individuen,
die ihr eigener Staats ächtet, verfolgt, verleumdet.“
Ina Kuegler
Elisabeth Tworek
Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann.
Von de Boheme zum Exil
255 Seiten, Regensburg/München 2016
Pustet-Verlag Regensburg
28 Euro