Das Vereinsheim
Laut Duden ist ein Schaumschläger „jemand, der (besonders aus Geltungsdrang) bestimmte Qualitäten oder Fähigkeiten vortäuscht, die er in Wahrheit nicht besitzt“. Laut Vereinsheim sind es Moses Wolff, Michael Sailer und Christoph Theussl, die gemeinsam mit durchschnittlich drei Gästen jeden Sonntag um 19.30 Uhr auf der Schwabinger Lesebühne literarischen Schaum schlagen. Von der Münchner Freiheit sind es keine fünf Gehminuten zu dem sandgelben Altbau in der Occamstraße Hausnummer acht (dem früheren „Gisela“), in dessen Erdgeschoss sich seit 2006 das Vereinsheim befindet. Die Außenbeleuchtung zeichnet ein Bild bayrischer Gemütlichkeit, die sich auch im Innenbereich fortsetzt: eine Kombination aus Wirtshaus und Bühne, deren Einrichtung die Gäste in ein Wohnzimmer der fünfziger Jahre zurückversetzt.
Den Raum selbst schmücken Bilder, Poster und Pokale die an Fußballerfolge und -helden der Vergangenheit erinnern, in der hinteren Ecke steht ein Kicker. Das Vereinsheim steht für unprätentiöse Lässigkeit mit Wohlfühlqualität statt jener Schickeria, mit der Schwabing gerne assoziiert wird. Kurz vor Beginn der Show sind sämtliche Stühle mit Taschen und Pullovern, den Handtüchern der Sitzplatzreservierung, dekoriert. Ein frühes Kommen empfiehlt sich. Zu kälteren Jahreszeiten ist die Kapazität des Vereinsheims mit 90 bis 100 Schaumschlägerbegeisterten häufig fast maximal ausgeschöpft.
Der Gründungsgedanke, der den Schaumschlägern zugrunde liegt, scheint aufgegangen zu sein: Nachdem sich die feste Bühne, die kurz nach Eröffnung des Vereinsheims montags eingeführt wurde („Blickpunkt Spot“) als großer Erfolg entpuppte und Sonntag zur damaligen Zeit als allgemein kultur- und veranstaltungsarmer Tag galt, entschied man sich zu einer weiteren Veranstaltungsreihe. So kam es, dass das Münchner Multitalent (Schauspieler, Kabarettist, Komiker, Musiker, Autor und Regisseur) Moses Wolff, der im August sein neues Buch Monaco Mortale, einen Wiesn-Krimi, im Vereinsheim präsentierte, und der tschechisch-deutsche Schriftsteller und Slam-Poet Jaromir Konecny Anfang 2007 die Schwabinger Schaumschläger ins Leben riefen. Kurze Zeit später stieß Autor und Musiker Michi Sailer dazu. Zwar gehört Konecny seit 2010/2011 nicht mehr zum festen Autorenensemble, ist den Schaumschlägern jedoch als regelmäßiger Gast, das nächste Mal am 9. Oktober, treu geblieben. Dafür erhielt die Runde mit dem österreichischen Liedermacher und Schauspieler Christoph Theussl 2012 internationalen Zuwachs.
Das Format der Show ist simpel: Die drei Stammautoren und ihre Gäste tragen abwechselnd, mit oder ohne musikalische Begleitung, selbstverfasste Texte vor, deren Dauer selten fünf Minuten überschreitet. Es ist eine Lesebühne, eine Show ohne Wettbewerbscharakter. Die kleinen Anekdoten, häufig mit Lokalkolorit gespickt, handeln von Liebe und Sex, Leben und Tod und bringen das Publikum, das ebenso heterogen ist wie Genres und Inhalte der Texte, zum Lachen, Nachdenken und Träumen. Die Vortragenden sind alt und jung, berühmt und weniger berühmt. Zu ihren berühmteren Vertreten zählen Ottfried Fischer, Eckhard Henscheid, Ralf Sotschek, Sigi Zimmerschied und Friedrich Ani. Sie alle pendeln gegen einen eher symbolischen Obolus in das Schwabinger Wohnzimmer. Wurden die Künstler anfangs noch angefragt, so werden inzwischen diejenigen, die sich auf der Bühne „bewährten“, gleich für den nächsten Auftritt ein halbes bis dreiviertel Jahr später gebucht. Moses, Michi, Christoph und ihre Gäste funktionieren einfach. Und so gelingt es ihnen, die familiäre Atmosphäre und Herzlichkeit von der Bühne auf das Publikum zu übertragen.
Katharina Ketzler
P.S. In unserer Serie „Münchens literarische Orte“ sind bisher erschienen: Substanz, Autorengalerie und La Cantina.