Ich gestehe. Ich habe es getan. Ich habe mir von ChatGPT einen Text schreiben lassen. Nicht diesen natürlich. Obwohl – man weiß ja nie. Wer würde das schon bemerken? Sie etwa? Stilistisch ist der Text nicht ganz so geworden, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber wenn man bedenkt: vier Sekunden Arbeit! Und wer liest schon noch das ganze Geschreibsel? Laut Allensbach Institut sinkt die Lesefähigkeit immer weiter – bei den Lehramtsanwärter*innen!

Einziger Trost – auch für den Buchmarkt – scheint die New-Adult-Literature (NA – für uns Kenner*innen) zu sein. Sie wissen schon, das sind die Bücher mit den Drachen und Rittern, mit den schlüpfrigen Vampiren und den expliziten Sexszenen. Dick, bunt und romantisch. Oberflächlich, reaktionär und sexistisch. Wie man so hört, kaufen sich die richtigen BookTok-Nerds (female) diese Bücher gleich in zwei Ausführungen: als einfache Broschur, die sie zerlesen und zerfleddern können, und als Schmuckausgabe mit aufwendig gestaltetem farbigem Buchschnitt, die sie sich – was für traditionelle Buchnutzer*innen erstaunlich erscheint – mit dem Rücken zur Wand in die Regale stellen. Bilder davon werden dann mit ergriffen verheultem Gesicht auf den SM-Kanälen gepostet.

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass bei der NA Aufmachung und Inhalt in ähnlich reziproker Relation stehen, wie das im Weinhandel mit Etiketten und den Flaschen, auf denen sie kleben, der Fall ist. Nur die großen Industrieplörre-Hersteller können sich die schicken Labels der Trend-Agenturen leisten. Guter Wein von handwerklich arbeitenden Winzern ziert meist noch ein altmodisches Etikett mit Wappen und Federzeichnung. Wenn Sie Marmelade einkochen, lassen Sie sich doch auch kein Etikett bei Scholz & Friends machen.

Aber ich schweife ab. Wenn KI-Modelle wie ChatGPT den Inhalt von Kafkas „Schloss“ besser rüberbringen als das Original es vermag – und eine Interpretation gleich mitliefern –, wer will sich da noch mit der ewigen Leserei plagen? Wer braucht denn noch Deep-Reading, wenn einem eine App alle Mühen abnimmt. Die Behauptung Literatur stärke die Empathie, weil sich im Hirn bei fiktionalem Erleben angeblich ähnliche Prozesse abspielen, als würde man die Situation in echt durchlaufen, ist doch nur Wehmutsgejammer des Bildungsbürgertums! Und dass das kritische Denken vom Lesen profitiere und auch vor autoritären Tendenzen schütze … Pff! „Mir fehlt die Fantasie, wie eine Demokratie klarkommen soll, wenn 80 Prozent keine Texte lesen können“, meint dazu der Historiker Michael Sommer (nein, nicht der aus der Bravo).

Aber alles geschenkt: Wieso soll ich mir von einer Datenkrake die schönen Dinge des Lebens abluchsen lassen? Mit einem fetten Schmöker auf der Couch liegen – Kreatives kreieren – boshafte Kommentare schreiben! Am liebsten würde ich schreien: ChatGPT mach’ gefälligst meine Steuererklärung und geh’ Kloputzen!

Michael Berwanger