Meine Augen folgen ihr, verlieren sie und gleich suchen sie wieder. Sie dreht ihre Kreise, summt Zufriedenheit, saust vorbei – ein lebendiger schwarzer Punkt. So könnten alle Punkte aus meinem Text herausfliegen, denke ich, und versuche weiter zu tippen. Wenn ohne Punkte, dann warum Kommas? Ah, so kann ich mich nicht auf den Text konzentrieren.
Hey, du donnerst über die Luftstraßen meiner Wohnung, bist sicher die Harley-Davidson unter deinesgleichen, und irgendwie beeindruckt mich diese Vitalität. Vorsicht, scharfe Kurve! Verflixt, ich habe keine Zeit! Wieso tust du gerade so brav? Wow, wie lang deine Flügel sind! Meine Güte, ich hab ’ne Meise. Na ja, ’ne Fliege. Ich muss Fristen einhalten. Die Zeit fliegt schneller als du. Krabble nicht auf die Wanduhr. Du kannst die Minuten nicht ändern. Die Zeiger sind schwer, eine kitschige Uhr von Ikea.
Du findest da keinen Halt? Oft habe ich es auch versucht, mich an einem schönen Augenblick festzukrallen. Es geht nicht. An der Zeit kann man sich nicht festhalten. Man versucht ununterbrochen, sie zu begreifen. Sie ist und bleibt nicht greifbar. Im Gegensatz zu dir. Dich könnte ich fassen. So flott bist du auch nicht. Sieh mal, ein Fenster. Das Blau vom Himmel verspreche ich dir, wenn du es hinkriegst. Was ist? Auf einmal müde?
Oh, was machst du da? Immer wieder nach oben und dann nichts. Sei entschlossen, mutig! Aber nein, nicht dort, das ist ein Spiegel. Erkennst du dich nicht? An einigen Stellen ist das Glas wie eine Lupe. Das bist du, etwas größer. Es ist keine Metamorphose. Kein anderer steckt dahinter. Hier geht’s nicht um Kafka. Auf kafken Fall. Es geht um was anderes. Um eine Wahl. Um einen Traum. Und was man für ihn tut. Mach alles, um dich zu befreien. Versuche es wieder! Gib nicht auf!
Meine Güte, hau ab! Du störst mich. Ich tue was für meinen Traum, kapiert? Weg, du dummes Vieh. Sonst zeige ich dir … Ach, nee, keine Bange, nicht das Ende. Wer bin ich denn? Es sterben so viele Insekten aus, Tiere, Pflanzen … Obwohl du echt nerven kannst. Beweg dich. Versuch weiter! Lehre mich kein Scheitern! Das kenne ich zu gut. Ich brauche dein Streben nach dem Licht. Du tust mir leid. Schau mal, ich nehme das in die Hand, ist keine Waffe. Es ist eine Zeitschrift. Schrift, Schrift – mach deine Schritte vorwärts! Ich jage dich so raus. Na gut, heraus manövrieren klingt besser.
Guck mal, ich öffne das Fenster ganz. Du wirst mir noch dankbar sein. Ich bin zum Beispiel meiner Mutter dankbar. Zurzeit schreibe ich über sie. Trotzdem, hätte sie mir einmal gesagt „Du darfst dich nie bücken!“, wäre ich noch dankbarer. Verstehst du? Ich wäre vielleicht freier, wäre vermutlich woanders, nicht hier mit dir. Das Coverfoto – das ist eine Philosophin. Ihre Mutter hat ihr das schon als Kind gesagt, und sie ist eine starke Frau geworden. Keine Panik, ich werde dich nicht zerdrücken. Ich tue keiner Fliege was zuleide, nicht mit Hannah Arendt.
Klischee hin oder her, mach die Fliege! Was suchst du hier? Bist du einsam? Hast du mich durchs Fenster gesehen und gedacht: Ha, noch eine wie ich. Bei ihr findet sich sicher eine Klappe für uns beide? Ne, ne, meine Liebe, ich bin gern allein. Geh woanders hin. Such dir ein schönes Plätzchen, eine schöne Scheiße. Ich bin nicht einsam, nur ab und zu. Und bin keine Kacke. Was erlaubst du dir? Weg von meiner Backe!
Oder hast du es vielleicht bei mir gut? Früher war ich für einen Hund, weißt du? Aber niemand konnte mit ihm Gassi gehen. Hamster wäre was, dachte ich später. Wir überlegen noch … Bleibst du bei uns, könnte ich mit dir spazierengehen. Ich nehme eine feine Leine. Zusammen werden wir ziemlich verrückt aussehen. Ein großes Mädchen mit ihrem kleinen, schwarzen Ballon. Wenn dich die Menschen überhaupt sehen können. Vorsichtig binde ich dich an die rote Leine und lass dich nicht mehr alleine, hehe. So merken die Passanten, dass ich etwas in der Hand halte. Damit keiner glaubt, ich wäre merkwürdig und führe Selbstgespräche oder spreche zu Gott.
Die rote Schnur könnte auch eine Art Leitung sein. Über solche roten Leitungen sprach in meiner Heimat früher der Parteichef mit dem Diktator, der Gott spielte. Tja, ich habe genug von Diktatoren. Besser wäre, die Leute sähen dich als einen fliegenden Gedanken. Einen, den ich gefasst habe. Ein kluger oder einfach lästiger, der sich wie ein Karussell im Kopf dreht.
Also, du bleibst? Ich freue mich. Aber wo bist du? Wo hast du dich versteckt, du, kleine Schwarze? Ich hoffe, nicht im Kleiderschrank. Bist du überhaupt noch da? Echoo, wo bist du, meine kurze lustige Zerstreuung? Ich sehe dich nirgends. Leb wohl! … Auweia, so blöd! Entschuldige, ich habe vergessen, dass ich vor einiger Zeit ein anderes Haustier aufgenommen habe – ’ne fette, nicht so nette Spinne. Verdammt! Ich spinne.