Die Wiederentdeckung der Gisela Elsner und ihr Nachlass in der Monacensia
Von Katrina Behrend Lesch
Gisela Elsners Leben war von zwei Dingen geprägt. Zum einen wurde sie 1937 in der NS-Reichsparteitagsstadt Nürnberg geboren. Zum anderen kam sie zeitlebens mit dem Zwiespalt zwischen ihrer großbürgerlichen Herkunft und ihrer radikalen Ablehnung alles Bürgerlichen nicht zurecht. Gleichzeitig stellten beide Faktoren die Konstanten in ihrer schriftstellerischen Arbeit dar. Sowohl die spießige Möchtegern-Welt der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft als auch deren Verstrickung in die NS-Vergangenheit waren die Themen, an denen sich Elsner in ihren Werken abarbeitete. Mit ihrem Debütroman „Die Riesenzwerge“ (1964), einer ins Monströse gesteigerten Beschreibung kleinbürgerlicher Lebenswelten, landete sie einen ungeheuren Erfolg, doch dass hinter der messerscharfen Satire eine Frau steckte, schockierte die Presse und lief der Erwartungshaltung an weibliches Schreiben gänzlich zuwider. Wenn hierzulande, so Elsner in einem Interview mit der Zeitschrift kürbiskern aus dem Jahr 1978, eine Frau das Schreiben schon nicht lassen könne, würde man ihr gönnerhaft trübe Metaphern über Geburt, Liebe und Tod gestatten, ja sogar mal einen surrealistischen Seitensprung. Satiren hingegen seien wie Bordellbesuche ausschließlich Männersache.
1958 heiratete Gisela Elsner den Autor und Lektor Klaus Roehler, verließ ihn sowie ihren dreijährigen Sohn Oskar aber bald, studierte Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaften und verbrachte zusammen mit dem Maler Hans Platschek als freie Schriftstellerin ein höchst unstetes Leben, das sie an die verschiedensten Orte der Welt führte: Rom, London, Paris, Hamburg, New York, schließlich München. Sie schrieb unermüdlich, Romane, Erzählungen, Essays, Rezensionen, Reportagen, Hörspiele, Theaterstücke, mittels ihrer kargen emotionslosen Sprache und oft schwerfällig anmutender Satzkonstruktionen einen ganz eigenen Stil zelebrierend.
An ihren Erstlingserfolg konnte Elsner allerdings nicht mehr anknüpfen. Es war, wie Katrin Schuster in der Wochenzeitung der Freitag schrieb, als verstellte „ihre auffällige Gestalt, jener gern als pharaonisch apostrophierte Look, und ihr glamouröses Auftreten zunehmend den Blick auf ihr Werk. Das war allerdings primär einer Branche geschuldet, die dieses Bild einer Frau anfangs sehr zu schätzen wusste, …, dann jedoch nicht mehr goutierte, als das märchenhafte Mädchen einen äußerst rauen Ton anschlug und schließlich auch noch Mitglied der DKP wurde.“ Die Schriftstellerin mit der auffallenden schwarzen Mähne, die sich selbst eine „schmutzige Satirikerin“ nannte und großen Wert darauf legte, keine Dichterin zu sein, etablierte sich nie; weder privat noch literarisch. Politisch enttäuscht trat sie 1989 aus der DKP aus, den Mauerfall empfand sie als Katastrophe. Zunehmend unter finanziellen Problemen leidend, vereinsamte sie mehr und mehr und beging 1992 Selbstmord.
Nun, fast 30 Jahre nach ihrem Tod, ist ihre Wiederentdeckung ein Stück weit vorangeschritten, dank des Einsatzes der Literaturwissenschaftlerin Christine Künzel, die Gisela Elsners Werk im Verbrecher Verlag neu herausgibt. Nicht zuletzt dazu beigetragen hat auch Oskar Roehlers Film „Die Unberührbare“, den er 2000 über seine Mutter mit Hannelore Elsner (die Namensgleichheit ist Zufall) in der Titelrolle drehte, auch wenn die Schriftstellerin darin auf ihr Leiden an der Welt reduziert wird und ihre künstlerische Leistung kaum zur Sprache kommt. Dieser nachzuspüren ist, abgesehen vom Lesen der Bücher selbst, in Elsners gut aufbereitetem Nachlass im Literaturarchiv der Monacensia, Münchens literarischem Gedächtnis, möglich. Hier lagern in vier Kassetten, neben biographischen Dokumenten und Pressestimmen, literarische Entwürfe, politische Schriften, Rundfunkmanuskripte, Buchbesprechungen, autobiographische Aufzeichnungen sowie zahlreiche Fotos. Manch ein Titel klingt fast wie eine kleine Geschichte. Etwa „Eine vertrackte, abgeschmackt anmutende, haarsträubende Sache, über die man nur den Kopf schütteln kann“, wobei der Zusatz „Auszug aus einem unveröffentlichten Roman“ zu großen Erwartungen Anlass gäbe. In ihren Rezensionen lässt sich trefflich lesen, was Elsner von den Büchern ihrer Kolleg*innen hält. Thomas Bernhards Roman „Beton“ spießt sie als „Die Schreibschwierigkeiten eines Müßiggängers“ auf. Und in der Fragment gebliebenen Autobiographie „Meine letzten zehn Jahre“ beschreibt sie mit verzweifelter Ironie, was das Schicksal für sie an Ungemach bereit gehalten hat.
Im Nachlass findet sich auch ein Brief an Carl Amery. Gisela Elsner hat ihn ein paar Monate vor ihrem Tod geschrieben. Darin bittet die an der Armutsgrenze lebende Schriftstellerin um finanzielle Unterstützung, das ist traurig genug. Doch ihres satirischen Blicks auf den einen oder anderen Kulturmacher in dieser Stadt kann sie sich nicht enthalten, darin ist sie sich treu geblieben.