Vier Dichter, die die Welt verbessern wollten
Von Katrina Behrend Lesch
Karnevalsstadt der Weltenbeglücker“ – München hatte es nicht leicht in den turbulenten Tagen, Wochen und Monaten, als die Monarchie gestürzt und Bayern zum Freistaat wurde mit Kurt Eisner, einem Dichter, als Ministerpräsidenten. Noch verrückter ging es zu, als nach dessen Ermordung die Dichter Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller das Äußerste wagten und die Räterepublik Baiern etablierten. Selten hatten sich Schriftsteller und Literaten so aktiv an einer Revolution beteiligt wie an der vom 7./8. November 1918. Viele ließen sich von ihr mittragen, euphorisch bis ablehnend wie etwa Thomas Mann, der das Geschehen von seinem Kämmerlein aus kommentierte. Sein Bruder Heinrich unterstützte die Revolution, Oskar Maria Graf feierte sie mit Saufgelagen, Rainer Maria Rilke besuchte politische Veranstaltungen, Ret Marut, alias B. Traven, agierte als unsichtbarer Chefzensor, um nur einige zu nennen. Doch jene vier Dichter wollten mehr, wollten nicht nur von einer besseren Welt träumen, nutzten die Gunst der Stunde und griffen nach der Macht.
Den Funken zündete Kurt Eisner, indem er die Revolution ausrief. Ein Dichter, denn so sah er sich in seiner wahren Bestimmung, steuerte nun die Staatsgeschäfte. Sein Umgang war vor allem das Wort, die Sprache, doch seiner Berufung als Aufklärer und Volkspädagoge konnte er sich letztlich nicht entziehen. Die Feier zur Revolution leitete Eisner mit „Gesang der Völker“, einem Gedicht von sich ein. Für einen deutschen Staatsmann wenig angemessen, wie er selber spöttelte. Aber konform mit dem Kern seiner Arbeit, die Kunst in den Dienst des Volkes zu stellen, denn wenn das überall geschehe, „wird auch für das künftige Völkerleben eine neue Zeit anbrechen. Unsere Klassiker haben das Problem gesehen, dass durch die Schönheit die Menschheit zur Freiheit gelangt. Heute ist das Problem, durch die Freiheit zur Schönheit zu gelangen.“
Er war nicht der einzige, der diesem Ideal nachhing. Der Schriftsteller Gustav Landauer hatte ebenso feinstoffliche Vorstellungen, die er während der Räterepublik zu verwirklichen suchte. Denn nach Kurt Eisners Ermordung im Februar 1919 war „Räte das Zauberwort jener Tage, die magische Formel der Hoffnung auf eine bessere, gemeinschaftlich organisierte, täglich neu zu verhandelnde Welt“, wie Volker Weidermann in seinem Buch „Träumer“ schreibt. Und mit Landauer begeisterten sich auch Erich Mühsam und Ernst Toller für das russische Experiment, das eine Räterepublik einer parlamentarischen Demokratie vorzog. Alle drei hatten in ihren Schriften, Theaterstücken, Gedichten das alles längst formuliert, waren, abgesehen von dem noch sehr jungen Toller, politisch tätig gewesen und dafür inhaftiert worden, waren Pazifisten und von der Sorge getrieben, der schreckliche Krieg könnte weitergehen. An diese „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ erinnerten permanent die rund 2,7 Millionen Invaliden, die Entstellten und Verstümmelten, die zum Alltag der Nachkriegszeit gehörten. Lebensmittelknappheit, Hunger, allgemeine Orientierungslosigkeit, das alles zu ändern, den Menschen eine neue Form der Mitbestimmung aufzuzeigen, das steckte in den Köpfen dieser Dichter.
Über die Rolle der Schriftsteller in Revolution und Rätezeit und die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Politik wird es auch in der Ausstellung „Dichtung ist Revolution“ gehen, die Laura Mokrohs in der Monacensia gerade vorbereitet. Sie erklärt deren Handeln so: „Sie waren ja nur zu einem Teil die Phantasten, die mal schnell Revolution machen, angetrieben wurden sie von der humanistischen Idee, das Mitein-ander der Menschen zu verbessern. Durch den langen Vorlauf politischer Gedankenarbeit und Aktivitäten, die allen eigen war, ist deutlich mehr Überlegung und Konzept dahinter, als ihnen nachgesagt wird.“ Von den dreien sei Gustav Landauer sicherlich der Besonnenste gewesen, der alles sehr genau durchdacht habe. Im November 1918 schon von Kurt Eisner eingeladen, an der Umbildung von Seelen mitzuarbeiten, war er nun als Volksbeauftragter für Erziehung und Unterricht an seinem Lebensziel angelangt. In seiner Schrift „Aufruf zum Sozialismus“ von 1911 hatte er bereits geschrieben: „ … wir brauchen Versuche … und wir brauchen Fehlschläge über Fehlschläge und die zähe Natur, die sich nicht, die sich durch nichts abschrecken läßt, die festhält und aushält und immer noch einmal ansetzt, bis es gelingt, bis wir durch sind, bis wir unüberwindlich sind.“ Durch neues Denken ein neues Herz schaffen wollte er, in den Schulen damit beginnen, an den Universitäten das Werk fortführen. Umsetzen konnte er sein Bildungskonzept nicht. Nach nur fünf Tagen wurde die Räterepublik zerschlagen, Landauer ermordet.
Erich Mühsam erlitt 15 Jahre später im KZ Oranienburg das gleiche Schicksal. Zeit seines Lebens verfasste er feinsinnige Gedichte ebenso wie agitatorische Texte, war er Schriftsteller und Revolutionär, Anarchist und Menschenfreund. Bei der Verteilung der Ämter in der Räterepublik ging er leer aus, er war ein „so ausgesprochen literarischer Bohemien, daß sich niemand ihn in einer würdigen Amtsposition vorstellen konnte“, hieß es. Dass die Kommunisten in die Gründung der Räterepublik nicht eingebunden waren hielt Mühsam für einen Fehler und wandte sich sogar um Rat an den Genossen Lenin. „Dennoch“, sagt Laura Mokrohs, „wollte er das Experiment auf jeden Fall ausprobieren und lieber scheitern, als es nicht versucht zu haben.“
Den Krieg hatte Ernst Toller mit Begeisterung begrüßt, im Schützengraben wurde sie ihm gründlich ausgetrieben. In seinem ersten Drama „Die Wandlung“ forderte er jeden auf, am Leid der Welt mitzutragen. Das tat er in seinem kurzen Leben – mit 45 beging er in New York Selbstmord – vor allem mit Texten fürs Theater und mit seiner Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“. Literarisch schreiben, politisch wirksam sein, das war sein Anspruch. „Kann der Dichter vom Schreibtisch her Einfluß auf die Politik seiner Zeit gewinnen? Es gibt Autoren, die diese Frage verneinen, ich bejahe sie.“ Als Vorsitzender der Räterepublik wusste er schon nach zwei Tagen, dass sie zum Scheitern verurteilt war. Er saß im Gefängnis, schrieb Theaterstücke, wurde berühmt. Nach seiner Haftentlassung notierte er: „Ich bin dreißig Jahre. Mein Haar wird grau. Ich bin nicht müde.“
Dichtung ist Revolution – Kurt Eisner – Gustav Landauer – Erich Mühsam – Ernst Toller. Eine Ausstellung der Monacensia im Hildebrandhaus. Ab 9.11.2018. Mo-Mi, Fr 9.30-17.30 Uhr, Do 12-19 Uhr, Sa, So 11-18 Uhr. Eintritt frei.