Sophia Klinks Romandebüt changiert zwischen Rationalität und Ästhetik

Von Slávka Rude-Porubská

„Glaubst du, dass es funktionieren würde? Zwanzig Tonnen Phosphatdünger in einen See zu kippen?“ Vor dieser Frage stehen die Hydrobiologin Anna und eine internationale Forschungscrew, die seit mehreren Jahren Daten zum Ökosystem am Kurilensee sammelt, einer natürlichen Laichstätte für den Rotlachs. Eine Phosphatdüngung könnte das Wachstum der Kieselalgen im See anregen. Die Nährstoffzufuhr durch den Dünger kann aber auch zu einer explosions-artigen Verbreitung der giftigen Blaualgenblüte führen. Ohne einen externen Eingriff lassen sich jedoch weder das pflanzliche Plankton noch die Fischbestände nachhaltig stabilisieren. Der Bericht zum Kurilensee soll noch im Sommer der Institutsleitung in Petropawlowsk überreicht werden.

Die Kapitel des ersten Romans der Literatin und promovierten Biologin Sophia Klink sind schlicht nach den Monaten zwischen Mai und September benannt. Mit der fortschreitenden Zeit steigt der Druck innerhalb der Forschungsgruppe. Es gilt, sich die Ergebnisoffenheit des Düngungsexperiments vor Augen zu führen und anzuerkennen, dass die von der Wissenschaft formulierte Empfehlung für die Politik und die Lobby der industriellen Fischerei lediglich eine Empfehlung bleibt.

Neben der Chronologie ist für den Roman das Motiv des Kreislaufs ein maßgebliches Strukturelement – sei es die monatliche Regelblutung von Anna, die jährlich wiederkehrenden Abläufe bei den Probenahmen auf der Station oder die im Abstand von Jahrtausenden zyklisch verlaufenden Veränderungen der vulkanischen Landschaftsformation: „Ich weiß nicht, wie lange es dauert, dass aus einem See ein Berg wird und wieder ein See.“ Ohne moralische Postulate oder Öko-Dystopie-Szenarien macht das subtile Kreislaufmotiv deutlich, dass bereits geringe Eingriffe das Gleichgewicht ganzer Ökosysteme empfindlich stören und gänzlich zerstören können.

Die Sprache des Textes ist im wahrsten Sinne des Wortes durchlässig, osmotisch. Sie lebt von der gleichzeitigen Präsenz des subjektiv-poetischen und des wissenschaftlich-exakten Vokabulars: „Ich greife nach seinem Nacken für einen kurzen Kuss, der mir die Endorphine aus der Hypophyse schüttet, sodass mir die Arme weich werden.“

Ob bei Naturbeobachtungen, Beschreibungen von Alltagshandlungen, bei Schilderungen der körperlichen Empfindungen oder der Liebesbeziehung zwischen Anna und dem Ranger Vova – fein austariert und gewagt zugleich ist das Übereinanderlegen von lyrischen Sprachbildern und biochemischen oder physikalischen Spracheinheiten. Die Trennung zwischen den rationalen Erklärungsmustern der Wissenschaft und dem Potenzial der ästhetischen Annäherung an die Realität hebt Anna bei ihrer Recherche in der Bibliothek der Forschungsstation programmatisch auf: „Ich bräuchte ein Lexikon, das mir die Wirkungsweise meiner Neuronen mit dem entsprechenden Gefühl verknüpft. (….) Aber vielleicht wäre dieses Lexikon eher ein Gedichtband.“ Überzeugend, lesenswert und höchst aktuell!

Sophia Klink: Kurilensee
Roman, 240 Seiten, gebunden
Frankfurter Verlagsanstalt 2025
24,00 Euro