Von Heike Duken

Er
regt sich schon, der Drachen in seiner Höhle. Er zuckt schon. Bald wacht er auf. Und dann reißt er das Maul auf und spuckt sein Feuer gegen meine Innereien, dass ich nur noch schreien kann.
Es ist Zeit, Schwester, kommen Sie, bitte. Warum warten, der Drachen ist wach, gleich erhebt er sich!
„Herr Claasen?“
Marion ist es.
„Es ist wieder so weit“, sagt sie.
Marion lässt mich nie warten. Sie ist so herzensgut.
„Jetzt sticht es“, sagt sie.
Und schon dämmert es. Das ist die beste Zeit. Der Drachen gähnt noch einmal, dann legt er sich nieder, ganz müde, ganz erschöpft. Von nichts. Vom Warten.
Ich deute auf das Fenster, nur mit dem Finger, der Arm ist zu schwer.
„Ich darf Sie doch nicht aufsetzen, Herr Claasen.“
Ich strenge mich an. Ich sammle Luft, ich öffne den Mund, noch ein Atemzug, dann schaffe ich es und sage: „Bitte.“
„Na gut. Es kann ja nicht schaden. Hier ist der Knopf, melden Sie sich ruhig, ja? Und verraten Sie mich nicht.“
Sie zwinkert mir zu. Sie kurbelt an meinem Bett und setzt mich auf und steckt mir noch ein Kissen hinter den Kopf.
Jetzt kann ich aus dem Fenster direkt in die Berge sehen. Sie sind viel höher als daheim. Vielleicht auch sanfter. Ein sanftes Land. Die Gipfel weiß, der Himmel blau, ein kaltes, Blau, das in den Augen schmerzt.
Marion ist fort.
Marion?
Nicht? Wer ist es?
Steht da draußen.
Frieda? Bist du es?
Frieda, gib acht. Er steht draußen und will herein. Er hat noch eine Rechnung offen. Mit mir, weißt du. Immer die gleiche Rechnung. Der gibt nie Ruhe. Der Iwan.
Frieda! Der Iwan steht draußen!
„Und, Karl? Wo ist jetzt Held?
Wo Soldat ?“
Er ist da. Nicht! Der Junge. Der hatte doch auch. Vater und Mutter. Der Junge. Ich war es. Der Herrgott hat mir die Hand abge. Zur Strafe. Weg. Wie aus dem. Fleischwolf. Ha! Ritsche ratsche.
„Brauchst nicht erzählen. Ich kenn die Hand.“
Frieda? Der war so alt wie ich. Ich hab ihn abge.
„Verlobte hatt ich auch.“
Frieda!
„Schlafen Sie, Herr Claasen. Ihre Frau kommt bald.“
„Ja?“
„Ruhen Sie sich aus.“
„Karl?“
Sie ist da, Frieda, endlich. Sie riecht nach frischer Luft. Sie sagt Karl, meinen Namen. Wie schön das klingt. Ich spreche. Ich sage: Frieda, endlich. Aber sie hört mich nicht.
Wir tanzen, im Trocadero, oben im ersten Stock, die Kapelle spielt, weißt du noch, Frieda? Die amerikanische Musik? Eine Feder warst du in meinem Arm.
„Karl? Schläfst du?“
Nein, ich bin wach. Geh nicht weg. Zieh doch den Mantel aus. Setz dich zu mir. Geh nicht weg, Frieda, der Iwan, weißt du, der steht da draußen.
Sie hört mich nicht.
„Gut, dass Sie angerufen haben“, sagt sie.
„Der Arzt meint …“, sagt Schwester Marion.
„Ich weiß“, sagt Frieda. „Ich kann bleiben, bis es so weit ist.“
Sie zieht ihren Mantel aus.
„Gut“, sagt Marion.
Ja, alles gut jetzt, sage ich.
Sie hören mich nicht.